Max Whitlocks Geheimnis des Erfolgs: So trainiert Scott Hann den dreifachen Olympiasieger im Gerätturnen
Individuell angepasste Trainingspläne sind für den britischen Gerätturner und seinen Trainer der Schlüssel zum Erfolg. Gemeinsam haben sie bereits sechs olympische und Weltmeistertitel erzielt und wollen das Trainingskonzept in diesem Sport verändern.
Eine familiäre Atmosphäre durchdringt den South Essex Gymnastics Club in mehr als einer Hinsicht. Auch der dreimalige Olympiamedaillengewinner Max Whitlock und sein Trainer Scott Hann sind zwar nicht blutsverwandt, aber Schwäger.
Whitlock ist in diesem Verein groß gewonnen. Er betrat die Turnhalle zum ersten Mal im Alter von 12 Jahren und die Verbindung besteht mittlerweile seit 18 Jahren. In dieser Zeit hat er eine beeindruckende Serie historischer Momente für das britische Gerätturnen geschaffen.
Nachdem er bei seinen ersten Olympischen Spielen 2012 in London im Alter von 19 Jahren zwei Bronzemedaillen gewonnen hatte, wurde Whitlock vier Jahre später Großbritanniens erster olympischer Goldmedaillengewinner im Gerätturnen, als er in Rio 2016 sowohl die Bodenübung als auch das Pauschenpferd gewann. Im Mehrkampf erzielte er die Bronzemedaille und landete damit hinter dem zweitplatzierten Oleg Verniaiev aus der Ukraine, während sich Turnlegende Uchimura Kohei aus Japan Gold gewann.
Bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 verteidigte Whitlock erfolgreich seinen Titel am Pauschenpferd, für das er weltweit bekannt ist. Der 30-jährige Turner könnte bei einer Nominierung für Paris 2024 Geschichte schreiben. Das britische Frauen- und Männerteam sicherten sich bereits Quotenplätze für zwei Fünferteams, und sollte Whitlock teilnehmen, könnte er der erste Turner werden, der vier olympische Medaillen am selben Gerät gewinnt.
Die Ergebnisse sprechen für sich.
Es gibt jedoch noch eine weitere Mission, die für Turner und Trainer besonders wichtig ist: das Vermächtnis, glückliche, gesunde Turnerinnen und Turner hervorzubringen – vom Kleinkind bis hin zur Senioren-Elite. Sie setzen auf ganzheitliche Trainingsmethoden, die sie auch selbst im Training nutzen.
Wie sieht also das Trainingsprogramm eines Turners unter der Leitung von Großbritanniens erfolgreichstem Turntrainer aus, der auch die Silbermedaillengewinnerin Georgia-Mae Fenton und die zweifache WM-Bronzemedaillengewinnerin Courtney Tulloch zum Erfolg führt?
Trainingstage mit Scott Hann und Max Whitlock
Die Aufwärmroutine eines Turners ist für manch eine Athletin oder einen Athleten bereits so anstrengend wie ein komplettes Training. Whitlock benötigt kein Fitnessstudio, um sich fit zu halten. Beim Gewichtheben wird nicht die Art von Muskeln aufgebaut, die der dreimalige Weltmeister benötigt, daher basieren die Workouts ausschließlich auf dem Training mit dem eigenen Körpergewicht.
Trizeps-Dips, Liegestütze mit weit auseinander platzierten Armen und Beinheben gehören zu den fundamentalen Übungen für ihn in dieser Sportart, die von Athletinnen und Athleten Kraft, Beweglichkeit, Flexibilität, Geschwindigkeit und mentale Konzentration verlangt.
Von den sechs Geräten, an denen die männlichen Turner antreten, konzentriert sich Whitlock auf dem Weg nach Paris auf das Pauschenpferd, den Barren und das Reck. Diese erfordern eine leichte Körper- und Oberkörperkraft, deshalb ist sein Ziel nicht, zusätzlicher aufzubauen. Ausdauer ist ein wichtiger Aspekt bei diesem Sport, dabei handelt es sich allerdings nicht um die gleiche Kondition wie beim Laufen.
Das herkömmliche Cardio-Training nutzt beim Gerätturnen wenig, dessen Routinen zwischen 90 Sekunden und zwei Minuten dauern. Wenn Whitlock ein Lauftraining einlegt, „ist es nur eine Meile, die so schnell wie möglich zurückgelegt wird, vielleicht einmal pro Woche vor dem Wettkampf“, sagte er Men's Health.
Die "Bootcamp-Woche" zu Beginn der Saison im Februar ist ein wichtiger Bestandteil der Saisonvorbereitung, insbesondere für den Aufbau von dieser speziellen Ausdauer.
„Wahrscheinlich ist es die härteste Woche in der Vorbereitung (auf den Wettkampf)“, sagte Whitlock in seiner wöchentlichen YouTube-Serie, in der er seine Fortschritte auf dem Weg nach Paris dokumentiert. „Man führt buchstäblich eine Reihe von Routinen durch und versucht, Ausdauer aufzubauen.“
Dies ist nicht die Zeit für gestreckte Beine, spitze Zehen und perfekte Ausführung, sondern für Zähne zusammenbeißen und Durchhalten, um die Ausdauer auf ein neues Level zu heben.
„Es wird diese Woche ein Kampf sein, aber hoffentlich sehen wir die Ergebnisse in der kommenden Woche.“
In den drei Wochen vor einem Wettkampf werden die Routinen verfeinert, wobei Hann das Geschehen genau im Auge behält.
Individuelle Anpassungen für Max Whitlock
Eine lange Karriere war für Whitlock und Hann von Anfang der Weg zum Ziel, wobei das Training an jede Phase angepasst wurde.
Vorbei sind die 35-Stunden-Trainingseinheiten pro Woche aus den Anfangsjahren, nachdem Whitlock 2015 an Pfeifferschem Drüsenfieber erkrankt war. Sein Training wurde auf etwa 20 Stunden an sechs Tagen heruntergeschraubt.
In Anlehnung an Hanns Mantra "Finde einen Weg" erkannte das Duo, dass Wettkampf und Training an allen sechs Geräten für den Mehrkampf nicht machbar waren. Sie beschlossen, sich auf einzelne Geräte zu spezialisieren, insbesondere das Pauschenpferd.
„Es heißt, man braucht 10.000 Stunden [um Experte/-in Experte in etwas zu werden]“, sagte Whitlock. „Ich habe bestimmt 30.000 Stunden trainiert. Mein ganzes Leben lang wollte ich einfach sehen, wie weit ich es bringen kann. Immer wenn ich nach einer Pause zurückkomme, will ich neue Routinen, um die Messlatte wieder zu verschieben.“
Die Pauschenpferd-Routine für die Phase Paris 2024 wurde akribisch zusammengestellt, um die schwierigsten Bewegungen in so kurzer Zeit wie möglich unterzubringen, ohne dabei Energie zu verschwenden.
Aber in einer Wettkampfumgebung kann alles passieren, angesichts dessen stellt Hann sicher, dass sie darauf vorbereitet sind. Er stellt im Training die Bedingungen in einer Arena nach, beispielsweise die Aufforderung, eine Übung ohne Aufwärmen auszuführen. Auf diese Weise gewinnt Whitlock Selbstvertrauen, weil er weiß, dass er die Übungen wie im Autopilot-Modus aus dem Training abrufen kann.
Nach Hann hebt sich Whitlock von den anderen Turnern ab, indem er gerne schwierige Übungen ausübt und selbst unter Druck und Wettkampfbedingungen die Ruhe behält. Egal, was kommt, die pure Liebe zum Sport motiviert ihn jeden Tag, zu trainieren.
„Es gibt Phasen im Leben eines Sportlers, in denen man den Sport, den man betreibt, fast verabscheut, weil er so hart ist“, sagte Hann, er seit 2022 auch der technische Berater vom Sportverband British Gymnastics ist. „Aber ich denke, wenn man auf das Niveau kommt, auf dem sich jemand wie Max befindet, dann ist es diese pure Freude, einfach etwas zu tun, das man liebt.“
Ganzheitlicher Trainingsansatz ist für Scott Hann essenziell
„Ich hoffe, dass ich nie ausbrenne“, sagte Whitlock vor Tokio 2020. „Ich achte darauf, mich nicht zu weit zu treiben. Ich tue, was ich tun muss – und von dem ich weiß, dass ich mich davon erholen kann – damit der nächste Tag immer produktiv ist.“
Hann spielt eine wichtige Rolle dabei, dass Whitlock sein emotionales und sportliches Gleichgewicht hält.
„Trainer und Turner sind sehr darauf bedacht, sich selbst zu pushen“, sagt Hann, der selbst ein ehemaliger Turner ist. „Aber man muss diese Balance haben und das Bewusstsein, wann genug, genug ist.“
Ein Großteil von Hanns Arbeit als Director of Coaching im Verein konzentriert sich nun darauf, ein Gleichgewicht zwischen der Leistung der Athlet*innen und deren mentalen Wohlbefinden *zu finden. Ein ganzheitlicher Ansatz ist der Schlüssel zum Erfolg.
„Viele Leute reden über die technischen Aspekte des Coachings, in Bezug auf dein Wissen und deine Ausbildung“, sagte er Olympics.com im Februar.
Whitlock spielte nach seiner schwierigen Zeit nach Tokio mit dem Gedanken, sich aus dem Profisport zurückzuziehen. Er fand mit Trainer Hann neue Motivation und nahm wieder an Wettkämpfen teil.
„Das ist wichtig, aber für mich geht es mehr um die Soft Skills, die Empathie, die Person zu verstehen, den ganzheitlichen Ansatz, eine Person so zu entwickeln, dass sie in der Lage ist, das Beste aus sich herauszuholen.“
„Der Aufbau von Selbstvertrauen ist sehr, sehr wichtig, und das geht durch den Umgang mit Widrigkeiten und das Lernen aus Fehlern. Das sind die Dinge, auf die ich mich wirklich gerne konzentriere, und ich helfe den Leuten, wenn sie zu mir kommen, denn es sind diese kleinen Dinge, die dir durch all diese Probleme und den Umgang mit Erfolg und natürlich auch mit Katastrophen helfen können.“
Bei einem Vortrag für den Berufsverband UK Coaching fasste Hann die Bedeutung seiner Rolle zusammen.
„Sport kann das Leben eines Menschen wirklich verändern. Es kann so viele wichtige Eigenschaften in die Entwicklung eines Menschen fördern, daher ist es wirklich wichtig, dass wir als Trainer es richtig machen. Und als Vorsitzender von UK Coaching kann ich nicht genug betonen, wie wichtig Coaching ist, nicht nur für den Erfolg, nicht nur für Spitzenleistungen, sondern auch dafür, das Leben der Menschen zu gestalten, sie fit zu halten, sie gesund zu halten, ihnen wichtige Lebenskompetenzen beizubringen, ist absolut wichtig und ich kann nicht genug betonen, wie wichtig Coaches sind.“