Tennis-Star Angelique Kerber schließt bei Paris 2024 ihren Frieden mit Sand und startet ins neue Leben

Olympics.com begleitet Angelique Kerber bei ihrem Start in die Zeit nach der Tennis-Karriere. Die Olympischen Spiele Paris 2024 ebneten dafür den Weg.

5 minVon Andreas Kloo
Angelique Kerber Paris 2024
(2024 Getty Images)

Da stand sie wieder auf ihrem ungeliebten Belag, dem roten Sand.

Sechs Wochen nach dem dramatischen letzten Match ihrer Karriere bei den Olympischen Spielen Paris 2024 hatte Angelique Kerber wieder einen Tennisschläger in der Hand.

Bei einem Termin als Markenbotschafterin im oberbayerischen Wasserburg am Inn trainierte sie mit Kindern des lokalen Tennisklubs.

„Sand hätte ich am liebsten vermieden“, gestand sie einem der Kinder ehrlich auf dessen Frage nach ihrem Lieblingsbelag.

Zusammen mit einem Besuch bei einem Ausrüster markierte der Wochenend-Trip von Kerbers Wohnsitz in Polen nach Bayern den Start in ihr neues Leben nach der Tennis-Karriere.

„Ich habe jetzt einen anderen Tagesablauf, es ist nicht mehr alles so durchgetaktet“ beschrieb sie den Unterschied zu ihrem Leben auf der Tennis-Tour mit Training, Turnieren und Reisen.

Oberste Priorität hat für Kerber nun ihre eineinhalb Jahre alte Tochter Liana: „An erster Stelle steht jetzt die Zeit mit meiner Kleinen, das werde ich sehr genießen.“

Doch um mit etwas Neuem zu beginnen und es genießen zu können, muss man erst mit dem Alten abschließen.

Lesen Sie weiter und erfahren Sie, wie das Kerber bei Paris 2024 gelang.

Angelique Kerber kehrte bei einem Termin als Markenbotschafterin zurück auf Sand

(Olympics.com)

Abschied nach heroischem Kampf

Die 36-Jährige hat fast alles erreicht, was man als Tennis-Profi erreichen kann. Sie stand an der Spitze der Weltrangliste, gewann Wimbledon, die Australian Open und die US Open.

Einen kleinen Makel sieht sie allerdings beim Blick auf ihre Laufbahn: „Ich hätte gerne noch die French Open gewonnen.“

Während sie die drei anderen Grand-Slam-Turniere jeweils einmal für sich entscheiden konnte, kam sie bei den French Open nie übers Viertelfinale hinaus.

Auch beim olympischen Tennisturnier, das in der French-Open-Anlage Roland Garros ausgetragen wurde, war in der Runde der letzten Acht Schluss. Aber die positiven Gefühle nach emotionalen Tagen bei ihrem Abschiedsturnier überwogen.

Kerber steigerte sich bei ihren Siegen über Naomi Osaka (JPN), Jaqueline Cristian (ROU) und Leylah Fernandez (CAN) von Match zu Match. Ihrer Bestform aus früheren Zeiten kam sie immer näher und zögerte so ihr Karriereende Tag für Tag hinaus.

Im Viertelfinale gegen die spätere Goldmedaillengewinnerin Qinwen Zheng (CHN) war sie dann vollends die Alte.

Unglaublich defensivstark, unermüdlich rackernd, kombiniert mit kraftvollen Gewinnschlägen.

So hatte sie es bis an die Spitze der Weltrangliste geschafft, so schaffte sie es gegen Zheng bis in den Tie-Break des dritten Satzes.

„Ich kann nicht mehr“, sagte Kerber irgendwann im Laufe dieses entscheidenden Durchgangs. Doch sie machte weiter, wehrte drei Matchbälle ab. Die Fans in Roland Garros feuerten sie an, auch das Publikum wollte nicht, dass diese große Karriere endet.

Zheng verwandelte schließlich nach über drei Stunden ihren vierten Matchball zum 8:6 im Tie-Break.

Kerber konnte sich erhobenen Hauptes verabschieden: „Ich habe hier alles auf dem Platz gelassen, ich habe mein Herz hier in Paris gelassen“, sagte sie im ersten TV-Interview nach dem Match mit Tränen in den Augen.

Und nun am vergangenen Wochenende konnte sie mit etwas Abstand feststellen: „In Paris habe ich meinen Frieden mit Sand geschlossen.“

Nach dem Viertelfinal-Aus gegen Qinwen Zheng (CHN) bei Paris 2024 nahm Angelique Kerber Abschied von der Tennis-Bühne.

(Getty Images)

Kerber will Erfahrung weitergeben

Tennis wird auch nach ihrer aktiven Karriere einen großen Platz in Kerbers Leben einnehmen, das stellte sie am Sonntag klar: „Ich werde dem Tennissport weiterhin beistehen. Ich werde meine Erfahrung weitergeben.“

Kerber hat die kommende Generation möglicher deutscher Tennis-Stars im Blick.

„Ich bin einfach dankbar dafür, was ich geschafft habe und möchte meine Erfahrung weitergeben. Hätte ich so jemanden gehabt, hätte ich vielleicht den ein oder anderen Fehler nicht gemacht“, erklärt sie ihre Mission.

Beim Termin in Wasserburg gab sie bereits eine erste Kostprobe. Nahbar, geduldig mit den Kindern, lobend und aufbauend.

Auch ihr großes Erfolgsgeheimnis verriet sie dem Nachwuchs: ihre mentale Stärke. „Das ist mittlerweile extrem wichtig. Man muss mit Niederlagen umgehen können, mit diesem großen Gefühlschaos.“

Zu Beginn ihrer Karriere habe es Phasen gegeben „wo ich nicht so konzentriert war“, gab Kerber zu.

Wie gelingt es einem, sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen?

„Durch Erfahrung. Man wird tough, man lernt, bei sich zu bleiben.“

So schaffte es Kerber nach ganz oben.

„Zur Nummer eins ist es ein langer Weg. Man muss mit vielen Rückschlägen und Niederlagen zurechtkommen“, blickte sie auf diesen steinigen Weg an die Weltranglistenspitze zurück.

Kerber nennt ihre schönsten Momente

Noch bevor ihr der große Durchbruch gelang, wollte sie 2011 alles hinschmeißen. Nachdem sie es im Jahr zuvor in die Top 50 geschafft hatte, reihte sich ein frühes Ausscheiden ans Nächste.

Doch bei den US Open änderte sich alles. Als Ungesetzte marschierte Kerber bis ins Halbfinale, es war ihr Durchbruch. Turniersiege auf der WTA-Tour folgten, bald gehörte sie zu den zehn besten Tennisspielerinnen der Welt, ehe 2016 ihr größtes Jahr kam.

Bei den Australian Open bezwang sie im Finale Serena Williams. „Das war der emotionalste Moment meiner Karriere“, sagt sie.

„Niemand hat mit mir gerechnet. In der ersten Runde hatte ich Matchball gegen mich. Da hat mich jeder schon abgeschrieben.“

Doch Kerber steigerte sich von Runde zu Runde und gewann schließlich als erste Deutsche seit Steffi Graf ein Grand-Slam-Turnier.

Es folgte der Einzug ins Finale bei Rio 2016, wo sie Monica Puig unterlag und Silber holte, der Gewinn der US Open und der Sprung an die Weltranglistenspitze am 12. September 2016.

Am 14. Juli 2018 durfte sie noch einen zweiten unvergesslichen Moment genießen: „Als ich die Wimbledon-Schale hochhalten durfte.“

Für Kerber ging damals ein lang gehegter Traum in Erfüllung: „Als Kind wollte ich immer Wimbledon gewinnen“.

Der Triumph auf dem heiligen Rasen bedeutete auch persönliche Genugtuung für sie.

„2017 war nicht mein bestes Jahr. Ich konnte es nochmal allen zeigen, besonders mir selbst.“

Mittlerweile hat Kerber einen Punkt erreicht, wo sie niemandem mehr etwas beweisen muss. Sie kann ihr neues Leben genießen.

Die Karriere von Angelique Kerber in Zahlen:

Geboren: 18. Januar 1988 in Bremen

Grand-Slam-Titel: 3 (Australian Open 2016, US Open 2016, Wimbledon 2018)

WTA-Titel: 14

Wochen an der Weltranglistenspitze: 34

Olympische Spiele: Silbermedaille Einzel Rio 2016

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