Olympia-Mission gegen den Alltagsrassismus: Jello Krahmer ringt um Anerkennung

Von Andreas Kloo
6 min|
130kg GR - Jello Krahmer (GER) 268
Foto von United World Wrestling / Kadir Caliskan

Jello Krahmer ist seinem Ziel ein großes Stück nähergekommen. Beim europäischen Olympia-Qualifikationsturnier in Baku hat der Schwergewichtler den bislang einzigen deutschen Quotenplatz für die griechisch-römischen Ringer erobert. Mit einem deutlichen 6:1 im Halbfinale gegen den Rumänen Alin Alexuc-Ciurariu machte der 28-Jährige den ersehnten Erfolg perfekt.

Offiziell ist Krahmers Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris zwar erst nach der persönlichen Nominierung durch das NOK. Was ihm das Wahrwerden dieses Traums bedeuten würde, das hat er schon einmal beschrieben: "Die Teilnahme und natürlich eine Medaille bei Olympia, das ist es, wofür wir Sportler jeden Tag arbeiten. Ein Erfolg, der auch nach der Karriere bestehen bleibt und hinter deinem Namen steht, das ist es, wofür wir kämpfen.“

Allein den Erfolg einer Olympiamedaille feiern zu dürfen, wäre schon Antrieb genug. Aber Krahmer kämpft noch um mehr. Der in Stuttgart geborene Sohn einer Deutschen und eines Nigerianers wünscht sich seit seiner Kindheit und Jugend Anerkennung.

**Da die Nationalen Olympischen Komitees die ausschließliche Zuständigkeit für die Vertretung ihrer jeweiligen Länder bei den Olympischen Spielen haben, hängt die Teilnahme der Athlet*innen an den Pariser Spielen davon ab, dass ihr NOK sie als Vertreter*innen ihrer Delegation für Paris 2024 auswählen.*

"Klau nichts", raunzte ein Passant den kleinen Jello an, der gerade mit seinem Roller auf einem Parkplatz seine Runden drehte. "Der Schwarze muss", sagte ein Mitschüler auf dem Gymnasium, als es darum ging, wer zum Tafeldienst eingeteilt ist. In der Einführungsveranstaltung zum Studiumsbeginn wollte sich niemand neben ihn setzen.

Es sind diese Erlebnisse von Alltagsrassismus, die in ihrer Summe bei Kramer ein unschönes Gefühl hinterließen: "Über die Jahre habe ich gemerkt, dass die Leute mir gegenüber nicht von Grund auf neutral sind. Ich hatte immer das Gefühl, bisschen mehr geben zu müssen beziehungsweise erst einmal beweisen muss, dass ich ein Anständiger bin", beschrieb Kramer im ZDF-Interview die Folgen seiner Erlebnisse.

Den Baden-Württemberger machte das nachdenklich: "Ich kenne keine andere Heimat. Ich habe keine andere Nation, die ich Heimat nennen könnte. Ich habe mich gefragt, ob ich richtiger Deutscher bin oder nicht und was mich denn von den anderen unterscheiden würde. Eigentlich kam ich nur zu dem Schluss, dass es meine Hautfarbe ist."

Von diesem bisschen mehr geben müssen profitiert er sicherlich auf der Ringermatte, keine Frage. "Er ist nicht mit dem größten Ringer-Talent gesegnet“, sagte sein Stiefvater und Förderer Sedat Sevsay dem SWR. Aber womöglich mit dem größten Willen.

Erst Fußball, dann Ringen

"Ich hatte immer schon eine Vorliebe fürs Raufen", erklärt Krahmer, warum es ihn zum Ringen zog. Wobei er erst relativ spät zu seiner Sportart fand. Zunächst einmal spielte er – wie viele Jungen in Deutschland – Fußball. Erst als er schon aufs Gymnasium ging, meldete ihn seine Mutter in Schorndorf beim Schnuppertraining an. Kramer findet seine Leidenschaft, er trainiert ehrgeizig und schnell stellen sich Erfolge ein. 2015 wird er in die deutsche Juniorennationalmannschaft berufen. 2017 gewinnt er bei der U23-WM die Bronzemedaille. Drei Jahre später feiert er mit EM-Bronze in Rom seinen größten internationalen Erfolg.

Und mit jedem Sieg wurde die Liebe zum Ringsport noch größer: "Es ist eines der besten Gefühle, das es gibt. Es ist ein Gefühl, dass es Wert macht, die ganzen harten Trainingsstunden durchzuziehen. Die ganzen Niederschläge, die es natürlich auch mal gibt. Dieses Gefühl, wenn der Arm nach oben gereckt wird oder bei einem Turnier auf dem Podium zu stehen. Das macht das alles Wert."

Seine schweißtreibenden Einheiten führt Kramer am Olympiastützpunkt in Heidelberg durch. Hier unter Gleichgesinnten fühlt sich der Sportsoldat wohl: "Deswegen gehe ich so sehr in dem Sport auf. Da ist das Teamgefüge total da. Wir sind immer zusammen, wir trainieren zusammen, wir haben dieselben Träume. Wir leben für dasselbe. Das ist ein einzigartiges Gefühl, das ich sonst selten erfahren habe im Leben."

Mittlerweile weiß Krahmer, dass er nicht der einzige ist, dem ein Gefühl des Andersseins vermittelt wird. Vor vier Jahren ging er deshalb in die Offensive und sprach im Focus offen über die Formen des Alltagsrassismus, die er erlebte. "Ich bin zwar nur Sportler, trotzdem sehe ich es als meine Pflicht, darüber zu reden", erklärte er seinen Antrieb.

"Ich dachte immer, Rassismus wäre ein Phänomen, das aus Unwissen resultiert. Aber durch unsere aufgeklärte Welt ist dieses Unwissen gar nicht mehr vorhanden. Trotzdem ist Rassismus noch ein aktuelles Thema", fügte der 1,92-Mann hinzu.

Seinen persönlichen Schlüsselmoment erlebte Krahmer im Sommer 2014, nachdem Deutschland bei der Fußball-WM den Titel gewonnen hatte: "Ich habe mich so sehr gefreut, als Deutschland Weltmeister geworden bist. Aber viele Leute aus meinem Bekanntenkreis, teilweise auch Freunde von mir, haben mich gefragt, warum ich mich denn freuen würde."

Diese Fragen nagten an ihm, wie er erzählt: "Für mich stand es gar nicht zur Debatte, ob ich mich jetzt freuen würde oder nicht. Ich war Deutscher und meine Nationalmannschaft hat gewonnen. Aber trotzdem machen die Leute einen Unterschied, ob du aussiehst wie einer oder nicht. Das hat mir schon in gewisser Weise das Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören. Das war schon ein sehr verletzender Moment, wo ich angefangen habe, mein Deutsch sein anzuzweifeln. Für mich war es immer klar, aber wenn die anderen Leute es nicht so sehen, vielleicht ist ja dann was dran."

Ringen bringt mentale Stärke

Der Bundesliga-Ringer des ASV Schordorf zerbrach nicht an den Selbstzweifeln, der Ringsport gab ihm die notwendige mentale Stärke: "Es ist ein unglaublicher Druck vor dem Kampf. Wenn man einmal gerungen hat in seinem Leben, dann ist alles andere einfach.“

So ist er mit sich und seiner Vergangenheit im Reinen. Seinen Instagram-Account nannte er augenzwinkernd ch0c0latepapi.

"Für mich ist die Frage total gelöst, was meine Identität angeht. Ich sehe mich als Deutscher. Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft, ich lebe hier gern, ich finde es ein tolles Land. Ich kam zu dem Schluss, dass es Menschen gibt, die das nicht so sehen. Es gibt so viele andere Leute, die dieselben Erfahrungen gemacht haben. Weil sie schwarze Haare haben, einen schwarzen Bart und vielleicht bisschen dunkler aussehen, denen auch das Deutsch sein abgesprochen wird. Und das ist falsch. Wenn man hier geboren ist, deutsche Werte und Normen vertritt, dann soll die Diskussion zu Ende sein."

Krahmers persönlicher Kampf ist jedoch noch nicht beendet. Abhängig von der noch ausstehenden offiziellen Nominierung durch das NOK bekommt Krahmer in Paris die Möglichkeit, seine Mission mit einer Olympia-Medaille erfolgreich abzuschließen.

"Ich möchte nicht eine Medaille für Deutschland holen, um irgendwelchen Leuten zu beweisen, dass ich Deutscher bin. Aber ich möchte allgemein im Leben erfolgreich sein, um es den Menschen zu beweisen, die mit meiner Hautfarbe und meinem Aussehen nur Negatives verbinden. Denen möchte ich beweisen, dass man auch wenn man anders aussieht, erfolgreich sein kann. Das ist die Reaktion, die sich für mich herauskristallisiert hat: beweisen, dass ich erfolgreich bin und dass ich’s drauf habe."