Die dreimalige olympische Turnerin aus Deutschland spricht in ihrer kürzlich veröffentlichten Autobiografie über den Kampf mit ihrer Essstörung.
Die dreimalige olympische Turnerin Kim Bui, die in einer Kleinstadt in der Nähe von Tübingen wohnt, spricht in ihrer kürzlich veröffentlichten Autobiografie „45 Sekunden. Meine Leidenschaft fürs Turnen – und warum es nicht alles im Leben ist: Ein Plädoyer für menschlicheren Leistungssport“ auch über die dunklen Seiten ihrer Karriere.
Die 34-Jährige beendete 2022 ihre Karriere als Leistungsturnerin, nachdem sie mit ihrer Mannschaft bei den Europameisterschaften in München den 3. Platz erzielt hatte. Kim Bui schreibt in ihrem Buch darüber, dass sie während ihrer gesamten Karriere mit Essstörungen zu kämpfen hatte.
„Es sind Momente in denen ich Höchstleistungen abgerufen habe, nach außen hin strahlte, aber ein dunkles Geheimnis mit mir rumtrug.“ schrieb Bui unter ihrem Bild auf Instagram. „Für viele ist das ein Tabuthema. Heute möchte ich offen darüber sprechen und wünsche mir einen respektvollen Umgang mit diesem sensiblen Thema! In der Vergangenheit litt ich an einer Essstörung - Bulimie.“
„Ich war zwar sportlich und dünn, aber nicht so, dass man hätte Verdacht schöpfen können", fuhr sie in dem Post fort. „Ich habe den Weg schon vor Jahren herausgefunden. Es hat aber sehr lange gebraucht, dass ich als Betroffene damit offener umgehen kann. Zu viel Scham, Ekel und Schuldgefühle plagten mich. Es ist aber ein Teil meiner Geschichte und ich möchte damit sagen, dass ihr, die davon betroffen seid, nicht alleine seid.“
Da das Körperbild beim Gerätturnen in den letzten Jahren in den Vordergrund des Sports gerückt ist, haben Deutschlands Kunstturnerinnen oft mit Ganzkörperanzügen an Wettkämpfen teilgenommen.
Ein Argument für dieser Entscheidung war, dass sich die Athletinnen dadurch weniger Gedanken machen müssen über unvorteilhafte Bilder, da die normalen figurbetonten Wettkampfoutfits sehr knapp geschnitten sind. Trotzdem gibt Bui zu, dass besonders das tägliche Tragen der körperbetonten Turnanzüge ein Faktor für ihre Essstörung war.
„Turnen ist nun mal eine Sportart, wo es um Ästhetik geht, man körperbetonende Turnanzüge trägt, wo jede Körperproportion betont wird und es immer noch häufig von einer kindlichen Körperform geprägt ist“, schrieb Bui.
Rücktritt: „Es war wirklich schwer, diese Entscheidung zu treffen.“
Jahrelang turnte Bui im körperbetonten Gymnastikanzug auf hohem Niveau und absolvierte gleichzeitig ihren Master-Abschlusses in Biologie.
„Ich habe viel länger gebraucht als meine Kommilitonen, um den Master-Abschluss zu machen", sagte Bui, "aber ich bin sehr stolz auf mich, dass ich diesen Master-Abschluss gemacht habe, während ich geturnt habe."
Die Entscheidung, sich vom Sport zurückzuziehen und ein neues Berufsleben zu beginnen, sei ihr nicht leichtgefallen.
„Es war wirklich schwer, diese Entscheidung zu treffen, aber ich bereue es nicht“, teilte Bui mit. „Ich bin immer noch sehr glücklich mit der Entscheidung und was bei der EM in München passierte, war wunderbar. Vor meinem Heimpublikum mit meinem Team eine Bronzemedaille zu gewinnen, war unglaublich, dazu die Standing Ovations von den Zuschauer*innen gaben mir so viel Anerkennung für meine bisherigen Leistungen.“
Neben ihren dreimaligen Teilnahmen an den Olympischen Spielen, darunter ein historischer sechster Platz für das deutsche Team im Jahr 2016, nahm Bui ebenfalls an sechs Weltmeisterschaften teil.
Mit der eigenen Geschichte anderen Hoffnung geben
Es war nie ihr Plan ein Buch zu schreiben, erst mit 34 Jahren kam ihr dieser Gedanke.
In einem Interview mit Gymnasticando.it erzählte sie, dass nach den Olympischen Spielen 2020 in Tokio, die im Sommer 2021 stattfanden, zum ersten Mal von einem Autor angesprochen wurde und er mehr über sie erfahren wollte.
„Zuerst habe ich nicht ganz verstanden, was sein Ziel war, aber irgendwann wurde klar, dass er eine Biografie über mich schreiben wollte. Nach ein paar Gesprächen am Telefon traf ich ihn persönlich. Ich war etwas skeptisch, ob ich mit so jungen Jahren eine Biografie schreiben sollte, aber er überzeugte mich schnell, dass ich trotz meines jungen Alters viel zu erzählen hätte“, teilte Bui mit.
Im Frühjahr 2022 traf ich mich mehrere Tage lang mit ihm, um alle Fragen zu beantworten, die er zu meinem Leben hatte.“
Als sich der Prozess entwickelte, beschloss Bui, ein Kapitel über ihre Essstörung mit in das Buch aufzunehmen. Ein Geheimnis, worüber sie noch nie zuvor öffentlich gesprochen hatte.
„Das Kapitel über die Essstörung, war das schwierigste für mich", sagte sie. „Ich hatte bis dahin noch nie darüber gesprochen. Bevor ich jedoch mit der Arbeit mit dem Autor begann, hatte ich zuvor eine Person getroffen, die ähnliches erlebt hatte. Sie hatte diese Krankheit bereits überwunden und sie fand die richtigen Worte. Es war das erste Mal, dass ich jemandem von meiner Essstörung erzählen konnte und es fühlte sich großartig an."
Kim Bui ist bewusst, dass das Turnen nicht der einzige Sport ist, bei dem Athlet*innenn schnell in eine Essstörung geraten.
„Es ist eine Krankheit, wo die Dunkelziffer sicherlich deutlich höher ist“, schrieb Bui. „Andere Sportarten sind ebenfalls gefährdet für die Entwicklung einer Essstörung, beispielsweise Eiskunstlauf, Rhythmische Sportgymnastik, Skispringen oder aber auch Sportarten wo es um Gewichtsklassen geht. Oftmals hat man eine gewisse Prädisposition zu einer Essstörung und der Leistungssport mit seinen Anforderungen befeuert das.“
Die deutsche Turnerin hofft, dass das Teilen ihrer Geschichte anderen helfen wird.
„Egal ob Leistungssportler*in oder nicht, fangt an darüber zu sprechen und holt euch bitte Hilfe, denn das ist so ein großes Thema, welches alleine nicht zu lösen ist!“