Jon Goodwin exklusiv: Der erste Olympionike im All trotzt Parkinson-Krankheit
Der 80-jährige Abenteurer hat in seinem Leben zahlreiche Gipfel bezwungen, von Annapurna in Nepal bis zum Kilimandscharo, Tansania. Sein neustes Abenteuer lag noch viel weiter oben: das Weltall. Olympics.com sprach nach der Landung mit dem britischen Kanuten darüber, was ihn an Weltraummission am meisten beeindruckte und wie er sich darauf vorbereitet hatte.
Welches Ziel setzt man sich, nachdem man an den Olympischen Spiele teilgenommen hat? Jon Goodwin wollte ins Weltall.
Der 80-Jährige, der 1972 in München für Großbritannien im Kanuslalom an den Start ging, ist der erste Olympionike, der in den Weltraum geflogen ist. Im August begann die Reise in einem kommerziellen Raumfahrzeug von Virgin Galactic an.
Goodwin war die vierte Person, die sich für den Weltraumflug anmeldete, als sich erstmals die Gelegenheit bot, an den ersten kommerziellen Flügen teilzunehmen. Achtzehn Jahre später war in der Zwischenzeit die Parkinson-Krankheit bei ihm diagnostiziert worden. Aus diesem Grund möchte er mit diesem Flug andere inspirieren, trotz aller Herausforderungen durchzuhalten.
„Ich habe mir nicht vorgenommen, diese Dinge zu tun. Es scheint einfach in meiner Natur zu liegen“, sagte Goodwin gegenüber Olympics.com. „Etwas zu tun, was nur sehr wenige andere Menschen getan haben ... Diese Möglichkeit zu haben, war der Reiz. Ich hatte den Wunsch, in den Weltraum zu fliegen, weil es meine abenteuerlustige Natur ansprach.“
Olympics.com sprach mit dem Achtzigjährigen nach seiner Rückkehr aus dem Weltraum. Goodwin erklärte, wie er sich auf den Raumflug vorbereitete und welche Herausforderungen die Parkinson-Diagnose mit sich brachte. Erfahren Sie, warum die Aussicht auf die Erde aus Bullauge für ihn besonders beeindruckender war.
Jon Goodwin: Vom Olympioniken zum Abenteurer
Jon Goodwins Leben ist ein Abenteuer. Er stieg auf die größten Gipfel der Welt: Kilimandscharo, Himalaya und seit Kurzem auch über die Erde hinaus – seine Reise in den Weltraum.
Aber alles begann mit Olympischen Spielen.
Goodwin nahm an den Olympischen Spielen 1972 in München teil, als Kanuslalom erstmals als eine Demonstrationssportart eingeführt wurde. Der britische Kanute konnte zwar keine Medaille erzielen, rückblickend war es aber der beste Motivator, um sich neuen Abenteuern zuzuwenden.
„Enttäuschung, es verbessert den Menschen. Du willst es besser machen, also versuchst du weiterhin, das zu beweisen. Unterbewusst, wohlgemerkt“, sagte Goodwin.
„Natürlich war es großartig, an den Spielen teilzunehmen, aber es musste 20 Jahre dauern, bis ich mir dachte: 'Ja, das war wahrscheinlich eine ziemliche Leistung'."
Nachdem er die Nationalmannschaft verlassen hatte, konzentrierte Goodwin seine Wettkampfenergie stattdessen auf legendäre Kanuexpeditionen.
In den folgenden Jahren war er der erste Mensch, der den Marshyangdi-Fluss zwischen den Gipfeln der Annapurna mit dem Kanu befuhr, er gewann ein Sechstagerennen am Polarkreis, fuhr den Ganges hinunter und führte ein neunköpfiges Team bei einem Auslegerrennen (Boot) auf Hawaii an. Das waren nur einige seiner zahlreichen Abenteuer.
„Ich hatte aufgehört, für das Land anzutreten, aber ich nahm an den Expeditionen teil“, sagte Goodwin. „Also habe ich mich verändert. Ich fuhr immer noch Kanu, fokussierte aber andere Aspekte des Kanufahrens. Das Kanufahren in der Arktis, das wir gewonnen haben, wo wir am ersten Tag 19 Stunden nonstop gepaddelt sind und es geschafft haben, jeden Tag der sechs Tage zu gewinnen, dieser Rekord hat bis heute Bestand.“
Nachdem er die ultimative Bucket-List für Abenteurer auf der Erde abgeschlossen hatte, blickte Goodwin nach oben und richtete seinen Blick auf ein für ihn noch unbekanntes Terrain.
Im September 2004 setzte er seinen Namen auf die Anmeldeliste für den ersten kommerziellen Weltraumflug von Virgin Galactic. Das Ticket kostete ihn 250.000 US-Dollar und erforderte eine Wartezeit von 18 Jahren.
Aber wie Goodwin bald herausfand, war die Zeit nicht das größte Hindernis, das sich ihm in den Weg stellen sollte.
Parkinson-Diagnose – „Es hat keinen Sinn, darüber zu jammern.“
Im Alter von 71 Jahren, bisher 10 Jahre auf der Warteliste von Virgin Galactic, wurde bei Goodwin die Parkinson-Krankheit diagnostiziert.
Die fortschreitende Erkrankung beeinträchtigt das Nervensystem und ist nicht heilbar. Die ersten Symptome können mit leichtem Zittern beginnen und führen zu verlangsamten Bewegungen, steifen Muskeln und Schwierigkeiten beim Sprechen und Schreiben.
Seit Goodwin die Diagnose erhalten hat, ist sein Energieniveau gesunken und einige alltägliche Aufgaben sind komplizierter geworden.
„Ich habe nur 20 Prozent Dopamin", sagte er. „Dopamin versorgt die Muskeln mit der gesamten Energie. Jeder Teil des Körpers benötigt Dopamin, daher brauche ich zum Beispiel Zeit, um mich anzuziehen. Das Hemd zuknöpfen, ist eine unmögliche Aufgabe.“
Der britische Abenteurer hat sich kreative Lösungen einfallen lassen**, um sich an seine neue Realität anzupassen**, wie z. B. Hemdknöpfe weiter auseinander zu setzen und Hemdmanschetten hochzukrempeln.
Trotz Krankheit hat er sich seine positive Lebenseinstellung bewahrt.
„Ich war damals 71 Jahre alt. Ich hatte ein fantastisches Leben und es hatte keinen Sinn, darüber zu jammern: 'Warum ich?' Wenn ich morgens aufstehe, habe ich die Einstellung eingenommen, dass mit mir alles in Ordnung ist", sagte Goodwin. „Es scheint sehr gut zu funktionieren. Wenn du glaubst, dass du alles andere tun kannst, was du in der Vergangenheit getan hast, schränkt dich das nicht ein. Ich habe Menschen mit Parkinson und anderen Krankheiten wie dieser bewiesen, dass dies nicht das Ende des Weges ist.“
Dies ist eine Botschaft, die Goodwin gerne weitergibt, wenn er mit anderen Menschen mit Parkinson spricht.
Die Weltgesundheitsorganisation schätzte 2019, dass weltweit über 8,5 Millionen Menschen von Parkinson betroffen sind, doppelt so viele Personen wie vor 25 Jahren.
Goodwin besucht wöchentlich einen Kurs in der Nähe seines Zuhauses in Staffordshire. Dort spricht er zusammen mit 30 bis 40 Menschen, welche die gleiche Diagnose haben, über den Umgang mit der Krankheit.
„Es geht darum, anderen zu helfen, die gleiche Einstellung wie ich zu entwickeln, weil es ein echtes mentales Problem darstellt. Vierzig Prozent der Menschen, bei denen Parkinson diagnostiziert wird, leiden an schweren Depressionen, daher hilft es anderen Menschen, es auf die gleiche Weise zu bekämpfen, wie ich es getan habe. Es ist eines der befriedigendsten Dinge", sagte Goodwin.
„Meine Einstellung dazu ist – Ich kann das tun, was ich immer getan habe. Es hemmt mich, aber es hält mich nicht auf“, sagt Jon Goodwin über seine Parkinson-Diagnose.
Für Goodwin sind solche Gespräche mehr als nur Worte. Sieben Jahre nachdem bei ihm die Krankheit diagnostiziert worden war, bestieg er den Kilimandscharo in fünf Tagen und radelte den Berg noch in derselben Woche wieder hinunter.
Während Parkinson seinen Berg- und Kanuabenteuern nicht im Wege stand, befürchtete Goodwin, dass es ihn von der Raumfahrt ausschließen würde.
Er unterzog sich zahlreichen Tests, um zu beweisen, dass er an der Galactic 02-Mission von Virgin teilnehmen könnte. Schließlich erhielt er grünes Licht.
„Ich habe es geschafft, in einem simulierten Flugzeug über der Bucht von Los Angeles schwerelos zu sein, so dass ich zeigen konnte, dass ich immer noch in der Lage bin, die meisten Dinge zu tun, die ein normaler Mensch tun kann“, sagte Goodwin. „Es war interessant, ihnen beweisen zu können, dass sie falsch lagen.“
Jon Goodwin: Training für den Flug ins All
Weltraumwissenschaftler waren nicht die Einzigen, die Goodwin eines Besseren belehrte. Der Lehrer seines Enkels konnte nicht glauben, dass Opa Jon wirklich in den Weltraum fliegen würde.
„Sebastian kam im Alter von sechs Jahren und sagte: 'Mein Opa fliegt in den Weltraum', und der Lehrer sagte: 'Nächste Frage, bitte'. Offensichtlich glaubte er ihm nicht. Und danach ging er zum Lehrer und sagte: 'Mein Opa fliegt in den Weltraum'", erinnert sich Goodwin. Er wurde anschließend in die Schule eingeladen, um einen Vortrag über seine bevorstehende Mission zu halten.
„Wenn du ihnen erzählst, dass du in den Weltraum fliegst, schauen sie dich an, als ob sie denken: 'Das kann nicht richtig sein', denn natürlich ist es einfach eine ungewöhnliche Sache, das zu tun.“
Fünf Jahre nach dem Schulvortrag befand sich Goodwin im Weltraumbahnhof von New Mexico. Er und die beiden anderen Passagierinnen, Mutter und Tochter aus Antigua, begannen vor Ort mit dem Training.
Drei Tage lang übten sie die Schwerelosigkeit in einer Zentrifuge und machten sich auch mit dem Inneren des Raumfahrzeugs vertraut.
„Die Schwerelosigkeit ist eine Kleinigkeit, du löst deinen Sicherheitsgurt und schwebst im Cockpit herum ... Das Problem beim schwerelos sein ist, dass man die ganze Zeit an die Decke gedrückt wird, und irgendwann muss man wieder in den Sitz steigen und sich anschnallen“, sagte Goodwin.
„Das war es, wofür wir vorwiegend trainiert haben, Fenster, Sicherheitsgurte und Sitzseiten zu finden, damit man sich vor dem Wiedereinsteigen wieder in den Sitz zurückziehen kann, um sich anzuschnallen.“
3, 2, 1: Der erste Olympionike wird zum Astronauten
Am Morgen des 10. August war alles bereit.
Goodwin war ruhig, als eine halbe Stunde angeschnallt auf seinem Sitzplatz saß, bevor das Raumfahrzeug startete.
„Es gab keinen großen Unterschied dazu, in einem herkömmlichen Flugzeug zu sitzen und von der Landebahn abzuheben. Ich war zuversichtlich, dass alles funktionieren würde, denn wir haben genauso trainiert, wie wir für die Olympischen Spiele trainiert haben, um unsere Fähigkeiten zu verbessern“, sagte Goodwin. „Und es ist dieses innere Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, dass einem ein Stück von der Angst nimmt."
Fünfundvierzig Minuten nach dem Start konnten sich die drei Passagier*innen abschnallen und die Schwerelosigkeit zum ersten Mal im Weltraum erleben.
Es waren die fünf Minuten, die Goodwin niemals vergessen wird, als er durch ein Bullauge auf die blaue und grüne Kugel unter ihm blickte.
„Das Beeindruckendste ist zweifelsohne der Blick aus dem All auf die Erde. Es war ein sehr klarer Tag. Man konnte sehr leicht die Atlantikküste Amerikas unter sich sehen, und diese Leichtigkeit des Weltraums, die vorherrscht, ist ein unbeschreiblicher Moment", erinnerte er sich.
„Das, was ich mir den ganzen Tag über und auch davor im Training gesagt habe, ist: 'Ich möchte, dass du diesen Moment genießt'. Ich wollte keine Fotos machen. Jemand anderes könnte das tun. Ich wollte diese anderthalb Stunden der Außergewöhnlichkeit genießen, und es hat meine Erwartungen übertroffen, wie wunderschön es im Weltraum ist.“
Der größte Höhepunkt des Tages wartete jedoch auf Goodwin als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
„Es war ein magischer Moment“, sagte er, als er seine Familie sah, einschließlich seiner Frau Pauline Goodwin, die ebenfalls olympische Kanutin ist.
„Meine Frau rannte auf dem Rollfeld auf mich zu. Ich rannte zu ihr. Mein jüngster Sohn sagte, es sei unglaublich bewegend gewesen. Er sagte, das habe er schon lange nicht mehr gesehen. In einer Ehe rennt man nicht jeden Tag der Woche zu seiner Frau oder zu seinem Mann."
Bald trafen auch inspirierte Nachrichten von Menschen ein, die selbst von Parkinson betroffen sind.
„Ich habe definitiv Glückwünsche von der Parkinson-Community erhalten, die sich bei mir dafür gedankt haben, weil ich es thematisiert habe, denn erst seit Kurzem fangen die Menschen an, ehrlich darüber zu sprechen, was der beste Weg ist, damit umzugehen, anstatt es zu verbergen“, sagte Goodwin. „Und die Reaktion der Welt ... war einfach unglaublich. Ich hätte nie gedacht, dass es die Vorstellungskraft der Öffentlichkeit so berührt werden würde, wie es der Fall war."
Wie geht es für den Olympiateilnehmer von München 1972 nach der Eroberung des Weltraums weiter?
Der Mann, der gerne die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten ausreizt, hält die Spannung über sein nächstes Abenteuer aufrecht: „Irgendetwas wird sich ergeben“.