BMX rettete ihr Leben: Wie Nikita Ducarroz zum Sprachrohr für psychische Gesundheit wurde
Nikita Ducarroz hat das geschafft, wovon viele Sportlerinnen noch träumen: eine Medaille bei Olympischen Spielen zu holen. In Tokio 2020 gewann sie die Bronzemedaille bei der Olympischen Premiere des BMX-Freestyle-Wettbewerbs.
Wie viel ihr diese Medaille bedeutet, erzählte die 27-jährige Tochter eines Schweizers und einer US-Amerikanerin kürzlich der „Schweizer Illustrierte“: „Wenn ich weggehe, verstecke ich sie. Ich habe Angst, dass sie jemand klaut!“
Vielleicht muss Ducarroz nach diesem Sommer auf zwei Medaillen aufpassen. Ihr Ziel für die Olympischen Spiele Paris 2024 ist jedenfalls klar: „Natürlich möchte ich wieder eine Medaille. Aber dieses Mal wird es schwieriger.“
Das liegt nicht nur daran, dass das Niveau in der Weltspitze in ihrer Disziplin seit Tokio extrem gestiegen ist. Auch der Weg nach Paris stellt die BMX-Fahrerinnen vor neue Herausforderungen.
Zwölf Athletinnen werden im Freestyle-Bewerb an den Start gehen. In der Olympic Qualifier Series kämpfen Ducarroz und ihre Kolleginnen in Shanghai (16. – 19. Mai) und Budapest (20. – 23. Juni) um einen von sechs begehrten Quotenplätzen bei den Frauen für ihren Verband. Sollte Ducarroz in der OQS nicht unter die besten Sechs kommen, hat sie mit der WM-Silbermedaille aber noch ein weiteres Qualifikationskriterium für einen Schweizer Quotenplatz in der Hinterhand.
Da die Nationalen Olympischen Komitees die ausschließliche Zuständigkeit für die Vertretung ihrer jeweiligen Länder bei den Olympischen Spielen haben, hängt die Teilnahme der Athlet*innen an den Pariser Spielen davon ab, dass ihr NOK sie als Vertreter*innen ihrer Delegation für Paris 2024 auswählen.
Die in den USA aufgewachsene Ducarroz wollte es ursprünglich in einer anderen Sportart zu den Olympischen Spielen schaffen: im Fußball. Doch als Jugendliche konnte sie diesen Sport plötzlich nicht mehr ausüben. Eine Angststörung mit Panikattacken machte ihr derart zu schaffen, dass sie das Haus nicht mehr verließ.
Sie ging nicht mehr zur Schule. Ihren High-School-Abschluss machte sie online. Der BMX-Sport rettete tatsächlich ihr Leben.
BMX-Sport als Rettung
Als 14-Jährige stieß Ducarroz über Internet-Videos auf die Sportart und fing sofort Feuer und Flamme. Sie begann zu trainieren, zuerst im heimischen Hinterhof, später in einem Park. Es war nicht nur der Beginn einer langen Reise bis in die Weltspitze ihres Sports, sondern auch ein Schritt zu besserem psychischem Wohlbefinden.
„BMX rettete mir zunächst einmal dadurch das Leben, dass es mir etwas gab, für das ich so viel Leidenschaft empfand, dass es es wert war, getan zu werden … wert war, dafür mein Haus zu verlassen“, erzählte Ducarroz vor zwei Jahren Olympics.com.
Aber da war noch etwas: Im BMX-Sport traf sie Gleichgesinnte. „Sie wurden zu einer Familie, und um sie herum baute sich alles auf. Sie gaben mir einfach ein Gefühl der Fürsorge und Freundlichkeit. Es waren Menschen, auf die ich zählen konnte.“
So wurde der BMX-Sport zu ihrem Rettungsanker, wie sie betont: „Und von da an gab es mir einfach einen Grund, hier zu sein und für etwas zu kämpfen, und das tut es auch heute noch.“
Instagram-Channel zum Thema Mental Health
Ihre Angststörung beschäftigt sie auch noch als erwachsene Frau. 2023 nach den European Games in Krakau hatte Ducarroz wieder eine größere Panikattacke.
„Mein Flug ging in ein paar Stunden und ich war allein im Hotelzimmer. Mein Team und mein Mentalcoach waren schon weg. Mein Herz raste, ich bekam kaum Luft. Ich saß auf dem Bett und konnte mich nicht bewegen“, erzählte sie dem „Bike-Magazin“.
Ganz los wird sie ihre Probleme wohl nie werden, aber der BMX-Sport und professionelle Hilfe gaben ihr die Kraft, damit umzugehen.
Diese Kraft will sie auch an andere Menschen weitergeben. Zusammen mit einem Freund führt sie eine Instagram-Seite zum Thema Mental Health.
„MindTricks entstand aufgrund meiner eigenen Beiträge, die ich auf Instagram zum Thema psychische Gesundheit verfasste. Und ich dachte, warum schaffen wir nicht etwas, wo andere das Gleiche tun können, einen zentralen Ort, an dem jeder diese Geschichten lesen und sich auch inspiriert fühlen kann, seine eigenen Geschichten zu teilen“, erklärte Ducarroz zur Entstehungsgeschichte des Channels.
Heute bewertet sie die Idee zur Schaffung dieser Plattform als großen Erfolg: „So viele Menschen haben sich an mich gewandt und sich bei mir bedankt oder gesagt, dass ihnen eine Geschichte, die sie gelesen haben, entweder wirklich geholfen hat, oder dass sie sie ermutigt hat, um Hilfe zu bitten. Selbst bei nur einer Person hätte es sich schon gelohnt, aber eine so große Resonanz zu sehen und für wie viele Menschen es eine Hilfe war, ist wirklich unerwartet.“
"Man kann alle Ziele erreichen, die man sich setzt"
Im Sommer 2019 gründete Ducarroz die Seite. Das Thema Psychische Gesundheit im Sport aber auch im Alltag war zu dieser Zeit fast noch ein Tabuthema. Auch in Deutschland, wo beispielsweise der Tod von Nationaltorhüter Robert Enke nur kurz die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses Thema lenkte. Ansonsten galt überwiegend: Ein verletzlich erscheinender Profisportler - das passt nicht zusammen.
Ducarroz will gegen dieses Denken weiterhin vorgehen: „Ich halte das für Quatsch und will damit brechen. Mentaltrainer sind heute viel verbreiteter als noch vor ein paar Jahren. Das ist eine gute Nachricht.“
Zur Verbesserung der Situation haben inzwischen Sportlerinnen wie Turn-Star Simone Biles beigetragen, die nach Tokio 2020 über ihre mentalen Probleme sprach.
In Paris will Ducarroz mit ihrem Bike ein Statement setzen: „Ich möchte nur zeigen, dass es egal ist, wer man ist, woher man kommt oder womit man sich beschäftigt, man kann alle Ziele erreichen, die man sich setzt.