Ricarda Funk will ihren “Olympia-Fluch“ bei Paris 2024 brechen
Die Kanu-Slalom Olympionikin Ricarda Funk hat ihre olympische Mission noch nicht vollendet. Sie will endlich ihren “Olympia-Fluch“ brechen, bei jeder Teilnahme unerwart schlechte Nachrichten zu erhalten, und zum ersten Mal die Olympischen Spiele Paris 2024 richtig zu genießen.
Funk hat bei den vergangenen Spielen Tokio 2020 die Goldmedaille im Kanu-Slalom gewonnen, doch damit ist sie noch nicht zufrieden. Sie will erneut bei Paris 2024 angreifen.
„Ich bin überhaupt nicht entspannt. Die Erwartungshaltung von außen merkt man schon, aber am Ende bin ich auch nur ein Mensch“, sagte sie Olympics.com während der Qualifikationsphase für Paris 2024.
Sie sicherte Deutschland bei den ICF Kanu-Slalom-Weltmeisterschaften 2023 den Quotenplatz und kam damit ihrem Ziel einen Schritt näher. Funk wird sowohl im Kanu-Slalom als auch in der neuen Disziplin Kajak-Cross starten und könnte dadurch zwei Medaillen bei Paris 2024 gewinnen.
Bei ihrem ersten Versuch, an den Olympischen Spielen Rio 2016 teilzunehmen, sowie während ihres überragenden Erfolgs in Tokio 2020, ausgetragen 2021, erhielt sie beide Male unerwartet schlechte Nachrichten.
Funk fragte sich nicht nur einmal: „Was hat Olympia eigentlich gegen mich?“
Eine erfolgreiche Slalom-Kanutin muss vor allem Spaß haben
Ricarda Funk kam über ihre Familie zum Kanu-Slalom, ihr Vater hatte immer eine große Leidenschaft für diesen Sport.
„Mein Vater hat meinen Bruder dazu bekommen, es mal auszuprobieren, und am Anfang war ich eher so, ich weiß ja nicht, ich glaube, ich will lieber Tanzen oder Reiten, aber durch ihn bin ich dann doch ins Kanu gestiegen und hab echt gemerkt, dass es mir eigentlich schon direkt am Anfang richtig Bock gemacht hat“, sagte Funk.
Sie wuchs in Remagen und Bad Breisig auf, wo sich die Flüsse Ruhr und Ahr fast vor der Haustür befanden. Allerdings waren diese Flussstrecken nicht besonders gut geeignet für Kanu-Slalom und es gab daher auch keine offizielle Trainingsstrecke. Die amtierende Weltmeisterin und ihr Vater bauten jeden Tag die Tore selbst auf und ab.
„Mein Vater hat sich dann ein System überlegt und dann ging das immer zack, zack, am Ende waren wir dann so ein richtig eingespieltes Team, jeder wusste immer, was er zu tun hat“, sagte Funk mit einem Lächeln.
„Es war überhaupt nicht vergleichbar mit irgendeiner offiziellen Kanu-Slalom-Strecke, ich hatte ja noch nicht mal eine Umkleide. Ich habe mich jeden Tag eigentlich draußen am Auto umgezogen, egal wie kalt.“
„Natürlich gab es auch die Phase, wo es mir auch ein bisschen peinlich war, sich draußen umzuziehen, weil wer weiß, vielleicht könnte in dem Moment jemand aus meiner Klasse vorbeikommen“, sagte Funk.
Nicht nur das Training nahm viel Zeit ein, auch ihre Wochenenden waren häufig mit Wettkämpfen verplant, die in ganz Deutschland stattfanden.
„Ich glaube, wenn es mir nicht so riesigen Spaß gemacht hätte, weiß ich nicht, ob wir es geschafft hätten, diesen Riesenaufwand jedes Wochenende zu betreiben.“
Ricarda Funks Erfolgsstrategie basiert auf einem vielseitigen Training sowohl im Einerkajak als auch außerhalb des Wassers: „Kanu-Slalom ist eine komplexe Mischung aus Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer, Koordination und vor allem Präzision, das spielt alles eine ganz große Rolle und deswegen gibt es gefühlt immer was zu tun.“
Für Paris 2024 hat Funk das ganze Jahr über trainiert, egal ob bei gutem oder schlechtem Wetter. „Es ist eine Illusion, dass wir unter unseren Klamotten trocken bleiben, besonders im Februar, wenn es so richtig kalt ist bei Schnee und Eis, da tun die Finger mega weh. Da weiß man gar nicht, ob man sich jetzt auf die heiße Dusche freuen soll oder nicht, denn wenn die Finger wieder auftauen, ist es einfach nur schmerzhaft.“
Den vollgepackten Trainingskalender - im vergangenen Jahr war Ricarda Funk nur 7 Tage zu Hause - nimmt sie gern in Kauf, wenn sie an das Spektakel der kommenden Spiele denkt.
Paris 2024: Alle guten Dinge sind drei
Ricarda Funk galt 2016 als Favoritin in der Kanu-Slalom-Szene und hoffte, zum ersten Mal an den Olympischen Spielen in Rio teilnehmen zu können. Als sie dann die Olympiaqualifikation knapp verpasste und nicht in die Nationalmannschaft aufgenommen wurde, brach für sie eine Welt zusammen.
Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass noch mehr unerwartete Rückschläge auf sie zukommen würden.
Ihr Trainer Stefan Henze begleitete die deutschen Kanutinnen und Knuten in Rio. Während der Spiele war Henze in ein Taxi gestiegen und in einen Autounfall verwickelt worden. Er verstarb wenig später im Alter von 35 Jahren. Alle Teammitglieder waren fassungslos. Zum Feiern war niemanden mehr zu mute.
„2016 war ein super scheiß Jahr für mich, das geht irgendwie immer noch nicht in meinen Kopf rein, was da passiert ist und macht mich immer noch sehr traurig. Wir merken auch alle heute noch, dass einfach eine Lücke da ist, die nicht geschlossen werden kann“, sagte Funk.
Die Slalom-Kanutin ließ sich davon nicht unterkriegen. Mit Trainer Thomas Apel erkämpfte sich bei den Weltmeisterschaften in Spanien (2019) ihr lang ersehntes Olympia-Ticket für Tokio 2020.
„Ich war mega happy, dass ich es geschafft hatte und habe damals ja quasi an der Mission von meinem Trainer weitergearbeitet. Ich habe dran geglaubt, dass ich es so auch schaffen kann.“
Doch zwei weiter schlechte Nachrichten sollten nicht lange auf sich warten lassen. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden die Olympischen Spiele in Tokio 2020 auf das nächste Jahr verschoben. Das war eine herbe Enttäuschung für Funk: „Dann schaffe ich's und dann werden die Spiele verschoben, das hat mir erstmal den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich habe gedacht, das kann jetzt nicht wahr sein, was hat Olympia gefühlt eigentlich gegen mich?“
2021. Es lief so gut für sie, dass sie in Tokio die Goldmedaille im Kanu-Slalom gewann. Allerdings mussten alle Athlet*innen aufgrund der Corona-Bestimmungen nach 48 Stunden das Land wieder verlassen.
Sehr gern hätte sie auch ihre Teamkollegen und -kolleginnen vor Ort angefeuert, bei anderen Wettkämpfen zugeschaut und mit dem Team gefeiert. „Ich konnte von meiner Zimmermitbewohnerin leider das Lauffinale gar nicht sehen, weil ich bereits im Flieger saß, das war echt so schade und traurig. Ich habe ganz verzweifelt versucht, mich im Flieger ins WLAN einzuloggen, ich dachte, ich muss doch irgendwie etwas mitbekommen. Leider war das WLAN super schlecht und es hat nicht wirklich geklappt“.
Ihr Sieg wurde zudem wieder einmal von einer traurigen Nachricht gedämpft. Im Kreis Ahrweiler, wo sie aufgewachsen war, kam es zu großen Überschwemmungen. Ihr Elternhaus war nur 4 km davon entfernt und blieb überraschend unversehrt. Allerdings kamen insgesamt mehr als 130 Menschen durch das Hochwasser ums Leben und das Wasser hinterließ in der ganzen Region eine herbe Verwüstung.
Viele Sportstätten sowie Funks allererste Trainingsstrecke wurden zerstört, auf der sie das ihre Begeisterung für Kanu-Slalom fand. Es war ein weiterer emotionaler Rückschlag, mit dem Funk nicht gerechnet hätte.
„Also sportlich gesehen waren die Olympischen Spiele in Tokio natürlich einen Traum, besser hätte es nicht laufen können. Aber ich habe das Gefühl, dass da noch etwas fehlt. Mein Trainer hatte damals immer gesagt: 'Olympische Spiele muss man erleben, man kann sie nicht beschreiben' und irgendwie habe ich das ehrlich gesagt noch gar nicht richtig erlebt“, sagte Funk.
Bei Paris 2024 möchte die Kanutin für die Goldmedaille wieder alles gebe und gleichzeitig jeden Moment genießen.
Vielleicht werden Ricarda Funk und die Olympischen Spiele in diesem Jahr doch noch beste Freunde.