Olympia-Qualifikation Gerätturnen: Seitz‘ Traum geplatzt – 16-jährige Helen Kevric gewinnt Duell
Elisabeth Seitz hatte an alle Motivationshilfen und Glücksbringer gedacht. Zum Aufwärmen trug sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Come back stronger Eli“. Freunde hatten darauf unterschrieben und es ihr nach ihrem Achillessehnenriss im vergangenen Herbst überreicht.
Über dem Motivationsspruch sind auf dem Shirt die Olympischen Ringe abgebildet. Olympia, ein viertes Mal. Sofort nach ihrer Verletzung nahm die 30-jährige Turnerin diesen Traum ins Visier.
Und warf alles dafür in die Waagschale, gewann einen Weltcup und erreichte bei den Deutschen Meisterschaften – dem ersten Teil der Olympia-Ausscheidung – herausragende 14,750 Punkte am Stufenbarren. Ein höherer Wert, als ihn Turn-Star Simone Biles bei den US-Meisterschaften an diesem Gerät erreichte.
Das Problem vor der finalen Olympia-Qualifikation am Samstag (22. Juni) in Rüsselsheim: Im Zweikampf um den einzig verbliebenen deutschen Quotenplatz mit der 16-jährigen Helen Kevric musste sie an ihrem Paradegerät noch eine Schippe drauflegen.
Es gelang der Deutschen Rekordmeisterin nicht ganz. Wieder zeigte Seitz eine starke Übung mit gelungen Übergängen zwischen den einzelnen schwierigen Elementen.
Aber nachdem sie den Abgang sicher in den Stand gesetzt hatte, wusste sie schon: Ihr spektakulärer Auftritt in Frankfurt/Main vor zwei Wochen war einen Tick besser gewesen. Das sahen auch die Punkrichter so und gaben ihr eine Wertung von 14.600.
Ihrer Konkurrentin Kevric gelang es dagegen tatsächlich, sich noch einmal zu steigern. Sie turnte eine Verbindung mehr als vor zwei Wochen und hielt damit auch vom Schwierigkeitsgrad her mit Seitz mit.
Das Ergebnis nach der sicher und sauber geturnten Übung: 14.800 Punkte!
Das Duell zwischen den beiden Vereinskolleginnen vom MTV Stuttgart war damit noch vor Abschluss des Mehrkampfs entschieden. Seitz turnte nach ihrer schweren Verletzung nur an einem Gerät.
Kevric: "Habe es einfach gemacht"
Für Kevric war die Steigerung die logische Folge ihres harten Trainings: „Ich mache in der Woche sehr viel Barren-Übungen, sehr viele Wiederholungen. Deshalb bin ich einfach hingegangen und habe mich auf diese Wiederholungen konzentriert. Und dann habe ich’s einfach gemacht“, sagte sie nach dem Wettkampf zu Olympics.com.
Das Riesentalent ist jedoch nicht nur am Stufenbarren stark. Bei den für sie siegreichen Deutschen Meisterschaften erzielte sie deshalb 55,500 Punkte im Mehrkampf, das hätte bei den Weltmeisterschaften 2023 Platz vier bedeutet.
An diese Vorstellung knüpfte sie in Rüsselsheim an und zeigte auch an den anderen Geräten eine überzeugende Leistung: 14.00 im Sprung, 13.566 am Schwebebalken, 13166 am Boden.
Am Ende ihrer Boden-Kür erntete die Siegerin der deutschen Olympia-Qualifikation tosenden Applaus der Zuschauer in der voll besetzten Großsporthalle. 55.532 standen zu Buche – noch einmal 0.32 Punkte mehr als in Frankfurt.
Die logische Folge dieser starken Leistung: Der DTB schlug am Sonntag (23. Juni) Kevric für den dritten deutschen Quotenplatz bei den Frauen neben Pauline Schäfer-Betz und Sarah Voss vor.
Seitz ist zusammen mit Karina Schönmaier nur als Ersatzturnerin eingeplant.
Die endgültige Enscheidung über das Ticket fürdie Olympischen Spiele Paris 2024 obliegt dem DOSB im Rahmen seiner Nominierung am 2. Juli.
Da die Nationalen Olympischen Komitees die ausschließliche Zuständigkeit für die Vertretung ihrer jeweiligen Teams bei den Olympischen Spielen haben, hängt die Teilnahme der Athletinnen und Athleten an Paris 2024 davon ab, dass ihr NOK sie als Vertretende ihrer Delegation auswählen. Klicken Sie hier, um das Qualifikationssystem für jede Sportart einzusehen.
Kevric kann sich wohl bereits mit 16 Jahren einen Kindheitstraum erfüllen: „Ich habe schon vor längerer Zeit gesagt, dass Paris 2024 mein großer Traum ist. Auch wenn wir nur diesen einen Platz hatten. Aber ich habe mir gesagt, dann muss man eben alles für diesen Platz tun“, beschrieb sie bei Olympics.com ihre Zielsetzung zu Jahresbeginn.
Tränen und Stolz bei Seitz
Elisabeth Seitz durfte diesen Traum schon dreimal erleben, und dennoch war die Enttäuschung groß, dass sie es in diesem Jahr nicht zu den Olympischen Spielen geschafft hat: „Ich kann mir auf jeden Fall nichts vorwerfen, ich habe alles gegeben“, sagte sie unter Tränen, aber mit Stolz auf die eigene Leistung.
Gewinnerin Kevric wünschte sie alles Gute: „Ich hoffe, dass sie diese Leistung auch in Paris wieder abrufen kann und wir uns alle für Deutschland freuen können.“
Das T-Shirt hatte Seitz kein Glück gebracht: „Den oberen Teil muss ich zudecken“, sagte sie und legte die Hand über die Olympischen Ringe. Aber der untere stimmt nach wie vor: „Come back stronger, Eli.“