Fünf emotionale Momente der deutschen Geschichte bei Olympischen Spielen
Paris 2024 steht vor der Tür! Schon am heutigen Mittwoch stehen die ersten Events auf dem Programm. So richtig los geht es dann am Freitagabend mit der Eröffnungszerenomie und am Samstag mit zahlreichen Entscheidungen im Mannschaftssport sowie den Individualsportarten.
Neue großartige Geschichten wollen geschrieben werden, Triumphe und Emotionen warten auf die Athletinnen und Athleten sowie deren Fans auf der ganzen Welt. Emotionen, das ist das richtige Stichwort. Kurz vor Beginn der Olympischen Spielen werfen wir einen Blick zurück - und erinnern Sie an fünf ganz besondere Augenblicke der deutschen Olympia-Geschichte.
Matthias Steiner - Peking 2008
Die Bilder des emotionalen Olympiasiegs von Matthias Steiner gingen im Jahr 2008 um die Welt. Der Jubelschrei des deutschen Gewichthebers im Moment des Triumphs sind legendär, den steinigen Weg den der spätere Sportler des Jahres 2008 in Deutschland gehen musste, kennen zahlreiche deutsche Olympia-Fans.
Der Athlet hatte im Vorfeld von Peking 2008 zahlreiche sportliche Herausforderungen zu bewältigen und wurde darüber hinaus, nur wenige Monate vor den Spielen, von einem persönlichen Schicksalsschlag getroffen. Doch Steiner wandelte diesen Schmerz an diesem legendären Tag, dem 19. August 2008, in unbändige Kraft um, die ihm den größten sportlichen Triumph seiner Karriere bescherte.
Der gebürtige Österreicher galt zu seinen Anfangsjahren als großes Talent. So holte er mehrere Bronzemedaillen bei Welt - und Europameisterschaften der Junioren in den Jahren 2001 und 2002. Parallel tauchte er in Wettkämpfen des Herrenbereichs immer häufiger in den Top-Ten auf. Ein erster großer Höhepunkt war die Olympia-Teilnahme bei Athen 2004, dort erreichte er den siebten Platz für sein Geburtsland Österreich.
Es folgten schwere Jahre, Steiner der seit seiner Jugend mit der Stoffwechselkrankheit Diabetes zu kämpfen hatte, bekam Gewichtsprobleme. Bis dato war er der Gewichtsklasse bis 105 kg zuhause, doch die Probleme die Obergrenze einzuhalten, wurden zu groß. Er musste ins Super-Schwergewicht wechseln. Dort fand er Wettkämpfe unter ganz anderen Bedingungen vor, gute Ergebnisse blieben aus. Nachdem er sich mit seinem früheren Verband überwarf, beantragte Steiner die deutsche Staatsbürgerschaft.
Inzwischen lebte er mit seiner damaligen Frau Susann in Sachsen, startete für den Chemnitzer AC. Doch über einen langen Zeitraum durfte er keine internationalen Wettkämpfe bestreiten, der Prozess der Einbürgerung zog sich hin. Mitten in dieser schweren Zeit musste Steiner den tragischen Verlust seiner Frau verkraften, Susann starb bei einem tragischen Autounfall.
Dank nahezu unglaublicher mentaler Stärke, zog der Gewichtheber nach Jahren der Tragik neue Kraft. Schon bei der Europameisterschaft 2008, wo er auf großer Bühne sein internationales Debüt für Deutschland gab, überraschte Steiner. In der Teildiziplin Reißen bescherten ihm 200 kg den Titel, im Stoßen brachte ihm die neue persönliche Bestleistung von 246 kg den Bronzenrang ein. Im Zweikampf (Zusammenrechnung der beiden Teildiziplinen) bedeutet diese Leistung der insgesamt gestemmten 446 kg, die Sibermedaille.
Beim Olympischen Qualifikationswettkampf in Deutschland erhöhte er seine persönliche Bestleistung auf 451 kg, es sollte nicht der letzte Rekord des Jahres bleiben. In Peking wuchs er erneut über sich hinaus. Mit 203 kg im Reißen und 258 kg im Stoßen, einer Gesamtleistung von 461 kg avancierte Matthias Steiner zum Olympiasieger im Superschwergewicht. Die Goldmedaille widmete er seiner verstorbenen Frau, die Bilder von der Medaillen-Zeremonie, bei der er ein Bild von Susann bei sich trug, gingen um die ganze Welt. Ein chinesisches Nachrichtenportal benannte dies als die emotionalste Siegesfeier der Spiele und nahm Steiner in die Liste der zehn denkwürdigten Olympioniken auf.
Britta Steffen - Peking 2008
Nach den großen internationalen Erfolgen von Michael Groß und Franziska van Almsick sehnten sich deutsche Olympia-Fans nach neuen Helden des Schwimmsports. Dass in Peking ein neuer Stern am Himmel aufgehen sollte, damit rechnete niemand. Doch am 15. August wendete sich das Blatt. Diesen Satz darf man wörtlich verstehen.
Britta Steffen hatte sich mit der sechstschnellsten Zeit für das Finale im Wasserwürfel der chinesischen Hauptstadt für das Finale qualifiziert. Damit gehörte sie zu den Außenseiterinnen des Finals mit insgesamt acht Teilnehmerinnen. Zunächst schien es so, als wäre die gedämpfte Erwartungshaltung gerechtfertigt. Die deutsche Athletin, als eher verhaltende Starterin bekannt, lag bis zur Hälfte des Rennens an achter und damit letzter Stelle.
Dort offensichtlich wusste die damals 24-Jährige genau, wie sie sich ihr Rennen für den größtmöglichen Erfolg einteilen musste. Als Letzte hatte sie gewendet, als Erste kam sie ins Ziel. Auf den zweiten 50 Metern überholte sie alle Konkurrentinnen, zuletzt Lisbeth Trickett, die auf der Bahn neben ihr schwamm. Ein Wahnsinns-Comeback, gekrönt mit dem Olympiasieg und das mit neuem Olympia-Rekord. Die 53,12 Sekunden war vor ihr noch keine Frau über 100 m Freistil bei Olympischen Spielen geschwommen.
Zwei Tage später setzte die Berlinerin ihrem unglaublichen Auftritt bei Peking 2008 die Krone auf. Auch über 50 Meter Freistil gewann sie die Goldmedaille. In Anbetracht des Rennverlaufs über die 100 Meter, die wohl noch größere Überraschung. Auch hier schwamm die heutige Mutter zweier Kinder einen Olympischen Rekord heraus. Die Zeit von 24,06 Sekunden machten unvergessene und emotionale Momente der deutschen Olympia-Geschichte perfekt.
Andreas Toba - Rio 2016
Diese Geschichte ist kein Moment des sportlichen Triumphes, doch ist sie ein Zeugnis einer unglaublichen Aufopferung für das Team, ein Moment der den Olympischen Gedanken und das Miteinander stärkt und ins Zentrum rückt. Augenblicke die lange im Gedächnis bleiben. Andreas Toba erwies seinem Team nämlich einen unglaublichen Dienst bei Rio 2016.
In der ersten Jahreshälfte machte Andreas Toba mit bärenstarken Leistungen von sich reden. Bei den Deutschen Meisterschaften ließ er die gesamte nationale Konkurrenz hinter sich, holte den Titel im Sechskampf. Auch die zweite Olympia Qualifikation in Frankfurt gewann der damals 25-Jährige, die Form vor dem Highlight des Jahres hätte besser kaum sein können. Und so reiste er mit vielen Hoffnungen zu den Olympischen Spielen nach Brasilien.
Doch früh sollten alle Träume auf ein erneutes Top-Ergebnis platzen. Im ersten Wettkampf, der Qualifikation am Boden, zog sich Toba eine schwere Verletzung zu. Bei der Landung nach einer Doppelschraube riss dem Athleten das Kreuzband. Ein Drama, dass alle Medaillenträume im Einzelwettstreit beendete und auch den Gedanken an einen Finaleinzug des deutschen Mehrkampfs-Teams praktisch ausschloss.
Doch nicht mit Andreas Toba. Trotz Schmerzen und der Gewissheit, dass die ganze Arbeit und die hervorragende Form nun nicht mehr dabei helfen können, eine Olympische Medaille zu gewinnen, opferte er sich für das Team auf. Kurz danach wagte sich der Turner für seine Mannschaft auf das Pauschenpferd. Toba wollte dabei helfen, dem Team doch noch einen Platz im Mannschaftsfinale zu erreichen. Es gelang. Mit 14,223 Punkten erzielte der gehandicapte Sportler die höchste Punktzahl des deutschen Quartetts, dank ihm zog Deutschland mit dem achten Platz noch in das Finale ein. Der "Hero von Janeiro" war geboren. Dank ihm durften Marcel Nguyen, Lukas Dauser, Fabian Hambüchen und Andreas Bretschneider im Mehrkampf-Finale antreten und belegten dort gemeinsam den siebten Platz.
Malaika Mihambo - Tokio 2020
Malaika Mihambo und zahlreiche deutsche Olympia-Fans erlebten im Sommer 2021 ein dramatisches Weitsprung-Finale der Frauen. Ein Wettkampf zwischen Himmel und Hölle mit dem größtmöglichen Triumph, dem Olympiasieg für eine der deutschen Vorzeige-Athletinnen der Leichtathletik.
Mihambo, Europameisterin 2018 und Weltmeisterin 2019, startete solide in den Wettkampf: 6,83 Meter im ersten Versuch. Doch dann kam Ese Brume. Die Nigerianerin setzte ein erste Top-Marke: 6,97 Meter! Gleich also viel Druck für Mihambo. Doch die Favoritin des Wettkampfs hielt dem Druck stand - 6,95 Meter im zweiten Versuch und damit nur zwei Zentimeter weniger als die Führende. In einem packenden Wettkampf schien nun alles angerichtet für die Führung von Mihambo.
Doch ausgerechnet im dritten Versuch - der Sprung, der sie zu ihren beiden Titeln 2018 und 2019 geführt hatte - verlor die damals 26-Jährige beinahe 20 Zentimeter, weil sie von zu weit vor der Linie absprang. Nach der Hälfte des Wettkampfs lagen die fünf bestplatzierten Sportlerinnen innerhalb von acht Zentimeter, maximale Spannung war also vorprogammiert. Und Mihambo schien diesem Druck zunächst nicht Stand halten zu können. Im vierten Versuch lief sie durch, im fünften Versuch trat sie über. Ausgerechnet in diesem Moment, schien die Verunsicherung des Jahres 2020 wieder hervorzutreten. Erst wenige Wochen vor Tokio 2020 hatte die größte deutsche Leichtathletik-Hoffnung auf eine Olympische Goldmedaille ihre Form wiedergefunden, zuvor hatte Rückenprobleme und misslungene Wettkämpfe am Selbstverständnis gekratzt.
Doch Mihambo wäre nicht Mihambo, wenn sie all den Zweifeln um ihre Person, in diesem Momemt nicht getrotzt hätte. Mit der Gewissheit mindestens Bronze geholt zu haben (dafür reichte der zweite Versuch mit 6,95 Meter) lief die Favoritin an - und flog auf unglaubliche 7,00 Meter! "Ich wusste, ich habe nur noch diesen letzten Versuch und muss mein Bestes geben. Und dann habe ich diese innere Stärke gefühlt und diesen Glauben an mich selbst, der ungebrochen ist", sagte die glückliche Malaika Mihambo nach dem Triumph von Tokio 2020. Ein Sieg der mentalen Stärke und mit vielschichtigen Emotionen, der nebenbei der Nation für der sie angetreten war, die erste Goldmedaille in der Leichathletik bei diesen Spielen bescherte.
Boris Becker und Michael Stich - Barcelona 1992
Wir schreiben den 07. August 1992. Am späten Nachmittag duellieren sich vier Tennis-Spieler, je zwei auf einer Seite, um den Olympiasieg im Herren-Doppel bei Barcelona 1992. Auf der einen Seite Wayne Ferreira und Piet Norval für Südafrika, auf der anderen Seite Boris Becker und Michael Stich für Deutschland. Nach 3:22 Stunden gellen Jubelrufe durch Tennis-Stadion de la Vall d’Hebron. Ein verünglückter Return von Norval schafft es nicht über das Netz, Becker und Stich sind Olympiasieger! Die beiden lebenden Legenden des deutschen Tennissports schauen sich an, stürmen aufeinander zu, jubeln und umarmen sich. Eine völlig normale Reaktion, so möchte man meinen. Schließlich haben sich gerade einen gemeinsamen Olympischen Triumph vollbracht. Doch das war es nicht.
Boris Becker und Michael Stich hatten gemeinsam mit Steffi Graf ihrem Sport eine umheimliche Popularität in ihrer Heimat eingebracht. Millionen Fans staunten über die großartigen Leistungen ihrer Idole, die zahlreichen Titel und speziell bei Becker und Stich - auch die großen Duelle untereinander. Wie in Wimbledon 1991, als Michael Stich den favorisierten Becker besiegte. Doch Becker und Stich verband bis zu den Olympischen Spielen 1992 nichts außer, dass sie die selber Sportart betrieben und aus dem selben Land stammten. Sie waren keine Freunde, hatten ein angespanntes Verhältnis und verstanden sich in erster Linie als große Konkurrenten.
All das blendeten die beiden Athleten in diesem Sommer aus. Angetrieben vom damaligen Bundestrainer Nikola "Niko" Pilic wurden sie zumindestens auf dem Platz, eine Einheit. Zuvor war es im Einzel gar nicht gut gelaufen, beide Spieler mussten frühzeitig die Segel streichen, auch der dritte Deutsche, Carl-Uwe Steeb schied vorzeitig aus. Letzte Hoffnung für das in dieser Dekade so erfolgreiche deutsche Tennis: Der Doppelwettbewerb!
Zur großen Überraschung aller Experten, hatte sich der Coach dazu entschieden, ausgerechnet Boris Becker und Michael Stich gemeinsam in den gemeinsamen Wettbewerb zu schicken. „Mir war es egal, was die beiden wollten – ich war der Teamchef. Ich habe das entschieden", zitiert die Sport Bild Niko Pilic in einem Rückblick.
Die beiden Ausnahme-Athleten setzten den Fokus dann auch gleich zu Beginn auf den sportlichen Erfolg. Nach dem kampflosen Einzug ins Achtelfinale besiegten Becker/Stich die Griechen Bavelas/Effraimoglu (3:0) und die Spanier Casal/Sanchez (3:2). So kämpfte sich das ungleiche Duo, bestehend aus dem extrovertierten Becker und dem kühlen und zurückhaltenden Stich ins Halbfinale vor.
Anders als heute wurde der Doppel-Wettbewerb noch im Best-of-Five-Format ausgetragen, doch die kräftezehrenden Matches schien den Zusammenhalt der beiden Stars auf dem Platz noch zu stärken. Im Fünfsatz-Krimi gegen Frana/Miniussi feierte man den Finaleinzug.
Im Endspiel folgte die Krönung und der emotionale Höhepunkt einer ansonsten schwierigen Beziehung - doch der Ehrgeiz die Olympischen Spielen zu gewinnen - war Motivation genug, um die persönlichen Differenzen für einen Moment ruhen zu lassen.