Stillen im Profisport: Die Sportlermütter berichten von ihren ganz persönlichen Erfahrungen
Anlässlich der Weltstillwoche vom 1. bis 7. August wirft Olympics.com einen Blick auf die Athletinnen, die während ihrer Sportkarriere Mütter geworden sind. Sie berichten ehrlich über die Vereinbarkeit von der ersten Mutterschaft und Spitzensport.
„Gwen“, ermahnt ein Kommentator sanft unter einem Social-Media-Post der US-Triathletin Gwen Jorgensen im März 2023, in dem sie ihre Enttäuschung über ihr Ergebnis beim New Plymouth World Cup in Neuseeland zum Ausdruck brachte. „Ich habe gerade deinen Rennbericht gesehen … 14. von 50, mit dem 3. schnellsten Lauf, glaube ich, und kein großer Unterschied zu den Top 5 – das ist 5 Monate nach der Geburt deines zweiten Kindes, nach einer Reise zur anderen Seite der Welt und während du stillst. Ich glaube, du gibst dir selbst weniger Anerkennung, als du verdienst!"
Der Kommentar war eine Reaktion auf Jorgensens Bildunterschrift, die lautete: "Ich bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden, weil ich eine Athletin bin, die gerne gewinnt. Ich habe ein 🔥, die brennt (und wächst)".
Jørgensen ist Olympiasiegerin im Triathlon von Rio 2016 und zweifache Weltmeisterin (2014 und 2015) sowie Vizeweltmeisterin 2016. Während der ITU-Weltcup-Serie gewann sie in dieser Zeit erstaunliche 13 Rennen in Folge.
Es stimmt, Jorgensen war es gewohnt zu gewinnen.
Im August 2017 brachte Jorgensen ihren Sohn Stanley zur Welt und gab im November bekannt, dass sie sich vom Triathlon zurückziehen würde. Sie wollte sich darauf konzentrieren, den Marathon bei den Olympischen Spiele Tokio 2020 zu gewinnen.
Allerdings kam es anders, als sie geplant hatte. Einige Verletzungen machten ihrem Ehrgeiz einen Strich durch die Rechnung. Drei Monate nach der Geburt ihres zweiten Kindes, George, kündigte Jorgensen im Oktober 2022 ihre Rückkehr zum Triathlon an. Sie setze sich ein neues Ziel: die US-Mixed-Staffel bei Paris 2024.
Jorgensen spricht offen über ihre Erfahrungen als Mutter im Spitzensport. Sie ist eine von mehreren Sportlermüttern, die weiterhin ihrer Leidenschaft zum Sport folgen wollen, während sie gleichzeitig ihre Kinder stillen.
Anlässlich der Weltstillwoche, die vom 1. bis 7. August stattfindet, wirft Olympics.com einen Blick auf die Erfahrungen von Jørgensen und denen, die einen ähnlichen Weg beschreiten. Mutterschaft und Wettkämpfe zu vereinen ist nicht immer einfach, aber viele Athlet*innen stellen sich dieser Herausforderung und zeigen, dass es möglich ist.
Das Beste aus beiden Welten
„Es ist absolut möglich, zu stillen und das höchste sportliche Niveau abzuliefern, ich habe es getan", sagte die 28-fache paralympische Medaillengewinnerin im Schwimmen und Radfahren, Sarah Storey.
Die Britin gewann zwei ihrer 17 Goldmedaillen in Rio 2016 im Radzeitfahren und im Straßenrennen. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Tochter Louisa drei Jahre alt. Storey wiederholte ihren Erfolg in Tokio 2020, dieses Mal war ihr vierjähriger Sohn Charlie dabei.
„Wenn dein Baby sich beruhigt hat, nicht weint, nicht verärgert ist und dann kannst dich auf die Arbeit konzentrieren, die du als Athletin erledigen musst", sagte Storey, die bei den Paralympischen Spielen Paris 2024 ihre neunte Teilnahme anstrebt.
„Zu wissen, dass ich für mein Kind sorgen kann, bedeutet, dass es mir hilft, diesen unglaublich egoistischen Job als Sportlerin zu machen, bei dem man so ichbezogen und in mit sich selbst beschäftigt ist in den vielen Stunden, die man trainiert und Rennen fährt, das bringt mir das Yin und Yang zusammen.“
Pläne vs. Realität
„Das Stillen war schwierig“, sagte Storeys Landsfrau und Radsportkollegin Laura Kenny. Sie brachte fast auf den Tag genau, ein Jahr vor dem Ende der Spiele in Rio 2016, bei denen Kenny ihre vierte olympische Goldmedaille gewann, ihr erstes Kind Albie zur Welt.
„Ich habe sechs Monate lang gestillt, es war wirklich schwierig, ihn zu füttern, damit ich Rad fahren konnte“, sagte die Bahn- und Straßenradfahrerin in einem Interview im Jahr 2019. „Er war das hungrigste Baby aller Zeiten und er konnte nur etwa 10 Minuten sein, ohne wieder etwas essen zu wollen.“
„Der Versuch, rauszugehen und zurückzukommen und sich nicht ekelhaft und verschwitzt für ihn zu fühlen – das war schwierig“, sagte Kenny. „Als Sportlerinnen haben wir unseren Mutterschaftsurlaub, während wir schwanger sind. Danach gibt es nichts, was dich wirklich vom Training abhält, also musst du einfach weitermachen.“
Mit Ehemann Jason Kenny, einem Bahnradsportler im Ruhestand und dem britischen Sprint-Radsporttrainer der Männer im Vorfeld von Paris 2024, haben die beiden zusammen 15 olympische Bahnradsport-Medaillen, darunter 12 Gold- und drei Silbermedaillen gewonnen. Am 20. Juni hat Laura Kenny ihren zweiten Sohn Monty zur Welt gebracht, die Herausforderungen beginnen von vorne.
Leistungssportlerinnen sind auch nur Menschen
Allein die Aufgabe, Mutter zu sein und zu stillen, ist bereits eine Herausforderung. Manchmal scheinen die Athletinnen, die gleichzeitig auch noch Mütter sind, Superheldinnen zu sein. Doch auch bei ihnen läuft nicht immer alles glatt. Sie teilen ihre ganz normalen Probleme und Schwächen, was sie noch sympathischer wirken lässt.
"Ich habe drei Monate lang gestillt und hatte drei Mastitis, was grauenhaft war", erzählte Arianna Errigo Olympics.com. Die italienische Fechterin hatte schmerzhafte Entzündungen des Brustgewebes erlitten, nachdem die im Februar Zwillinge per Kaiserschnitt bekommen hatte und danach stillte.
Die dreimalige Olympiamedaillengewinnerin, der als einer der besten Fechterinnen aller Zeiten gilt, darunter Gold in London 2012 und Bronze in Tokio 2020, war alles andere als immun gegen die relativ häufige Erkrankung.
„Ich habe die dritte (Mastitis) bekommen, ich wollte es versuchen, aber mit drei Antibiotika-Runden in zweieinhalb Monaten wurde mir dringend geraten, es aufzugeben und ich habe aufgehört zu stillen.“
Errigo gewann fünf Monate nach der Geburt der Zwillinge ihren 10. Weltmeistertitel, also kehren wir in diesem speziellen Fall vielleicht zum Superheldenstatus zurück …
Neue Möglichkeiten bringen neue Chancen
„Es tut mir weh zu hören, dass Leute sagen: 'Wir können immer nur eine Sache auf einmal tun', 'Du kannst dich in deinem Job nicht weiterentwickeln' oder 'Du kannst keine Spitzensportlerin sein', während du Mutter bist“, sagte die zweifache Olympiasiegerin Clarisse Agbegnenou gegenüber Olympics.com. „Das ist vollkommen falsch.“
Die französische Judoka, die in der Gewichtsklasse -63 kg antritt, bringt ihre Tochter Athéna zu den Wettkämpfen mit. Im vergangenen November war sie im Alter von fünf Monaten bei dem Comeback zur Champions League ihrer Mutter in Georgien dabei. Agbegnenou gewann im Mai dieses Jahres ihren sechsten Weltmeistertitel in Doha.
„Wir brauchen nur die Möglichkeit, zu stillen oder bei Bedarf die Milch bei der Arbeit abzupumpen ... Als Sportlerin benötigst du einfach mehr Zeit wegen der körperlichen Tätigkeit, die nötig ist, aber ansonsten läuft es wirklich reibungslos. Das ist das Beispiel, das ich zeigen möchte – alles ist möglich. Man muss nur auf seinen Körper hören", sagte Agbegnenou.
Spielzeit vor und nach dem Turnier
Agbegenous Landsfrau Valériane Vukosavljevic (geb. Ayayi) und Olympia-Bronzemedaillengewinnerin im Basketball (Tokio 2020), stillte ihre Tochter Alani ebenfalls während der EuroBasket 2023 und sagte Olympics.com: „In meiner Freizeit, wenn ich nicht bei der Mannschaft bin, kann ich bei meiner Tochter sein. Ich kann sie stillen, mich um sie kümmern, ihr Essen zubereiten, sie duschen– all die Dinge, die eine Mutter tut. Das ist wichtig, weil sie noch sehr jung ist und ich mir nicht vorstellen kann, sie lange allein zu lassen.“
„Es ist wichtig für eine Mutter, für ihre mentale Gesundheit“, fügte die Athletin hinzu, die während ihres Medaillenerfolgs in Tokio 2020 schwanger war.
Der ganz normale Wahnsinn
Jorgensen führt seit dem Beginn ihrer Reise zu ihren hoffentlich dritten Teilnahme an den Olympischen Spielen ein Videotagebuch. In einem der Videos erzählte Jørgensen, wie sie sich fühlte, nach der Geburt zu ihrem ersten Wettkampf zurückkehren: „Ich freue mich darauf, einfach rauszugehen und zu sehen, wie es läuft... Ich bin nur ein bisschen nervös darüber, was beim Rennen passieren wird."
Bisher ähnelte Jørgensens Routine der ihres sportlichen Lebens vor der Geburt, wenn auch mit einem wichtigen Unterschied: "Ich brauche meine Milchpumpe, ich brauche die Fläschchen, ich brauche den Kinderwagen..." Wie wahrscheinlich vielen Müttern geht ihr anschließen der Gedanke durch den Kopf: „Habe ich etwas vergessen?“
Nach der Geburt von ihrem zweiten Sohn kehrt sie bereits an Tag 9 ganz langsam wieder ins Training, sie schrieb unter den folgenden Soclia-Media-Post: „Wie großartig sind eigentlich unsere Körper?!“