Paris 2024: Der neue deutsche Schwimm-Star exklusiv: Woher Angelina Köhler ihre mentale Stärke bezieht

Von Andreas Kloo
6 min|
Angelina Koehler
Foto von 2024 Getty Images

Seit Februar 2024 hat Deutschland wieder einen großen weiblichen Schwimm-Star. Bei der WM in Katar schwamm Angelina Köhler über 100 Meter zum Titel. Erstmals nach 15 Jahren gewann eine deutsche Beckenschwimmerin wieder WM-Gold.

Köhler trat damit in die Fußstapfen ihres großen Vorbilds Britta Steffen, die bei den Titelkämpfen im Rom 2009 über 100 und 50 Meter Freistil jeweils Gold gewonnen hatte.

Verändert habe sich dadurch aber nichts für sie, betont die 23-Jährige.

“Es war auch erst mein erster Weltmeistertitel”, sagt sie im Gespräch mit Olympics.com in einer Mischung aus Lockerheit und Selbstbewusstsein.

Ihr WM-Titel war jedenfalls alles andere als Zufall.

Wenn man ihr zuhört, merkt man: Angelina Köhler weiß genau, wie man Gold gewinnt.

Auch bei den Olympische Spielen Paris 2024 sei das Mentale entscheidend, denn: “Trainieren kann jeder.”

“Man trainiert jahrelang für diesen einen Moment. Dann auf den Punkt die Leistung abzuliefern ist eine große Herausforderung. Dafür muss man einfach mental stark sein”, führte sie weiter aus.

“Man müsse sich eine gewisse Lockerheit bewahren, um es “locker flocking über die Brühne zu bringen”, beschreibt Köhler, wie sich das Gefühl mentaler Stärke anfühlt.

Köhler arbeitet mit einer Psychologin zusammen, aber der Ursprung ihrer mentalen Stärke liegt auch in ihrer Jugend.

Angelina Köhler gewinnt WM-Gold

Mit 12 Jahren verlässt Köhler die Heimat

Die Wahl-Berlinerin musste schon als Jugendliche sehr reif sein, für sich und ihre Träume einstehen.

Mit zwölf Jahren verließ sie ihre Heimat in Rheinland-Pfalz und ging nach Hannover aufs Sportinternat.

„Das hat mich schon extrem geprägt. Es war nicht einfach, weil ich nur alle sechs bis acht Wochen nach Hause gefahren bin. Aber trotzdem hat es sehr, sehr viel Spaß gemacht. Und es hat mich auch sehr stark weitergebracht. Ich war mit 12 schon sehr selbstständig und konnte schon viele Sachen früh alleine.“

Für die junge Angelina war es auch ein Test, ob sie wirklich für den Traum von der Schwimm-Karriere gemacht ist. Den Test bestand sie.

„Ich hatte selten Heimweh, der Typ war ich nicht. Aber so wusste ich damals schon, dass das Leben einer Leistungssportlerin für mich passt“, blickt sie zurück.

Die Jahre der Pubertät in Hannover wandelte sie in Stärke um.

Das gilt auch für die Mobbing-Erfahrungen, von denen sie nach dem Gewinn ihres WM-Titel berichtet hatte:

„Wenn man ziemlich groß ist, ziemlich dünn, lange Arme hat und etwas größere Zähne, dann noch eine Brille trägt und über die eigenen Füße fällt, ist es ziemlich einfach für ältere Jungs, sich über einen lustig zu machen.“

Auch dadurch ließ sie sich nicht von ihrem Weg abbringen.

Olympia-Teilnehmerin entdeckt Köhlers Talent

Dass dieser Weg weit nach oben führen kann, erkannte als erstes die frühere deutsche Olympia-Teilnehmerin Karina Kusch. Sie leitete ein Schwimm-Camp in einer Ferieneinrichtung in der Türkei. Dabei fiel ihr die siebenjährige Angelina auf.

Kusch sagte ihren Eltern, Angelina habe großes Talent, das gefördert werden müsse.

Köhler war von diesem Tag an mit dem Schwimm-Fieber infiziert: “Ich fand es cool und habe das Schwimmen weiterverfolgt.”

Als 15- und 16-Jährige dominierte sie ihre Alterklasse in Deutschland. Schnell zeigte sich, dass sie auch im weltweiten Vergleich mit den Besten mithalten kann.

Bei den Juniorenweltmeisterschaften 2017 wurde sie Fünfte über 50 Meter Freistil, bei den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires holte sie Silber und Bronze über 100 und 50 Meter Schmetterling.

Der nächste Schritt auf der Karriereleiter sollten eigentlich die Olympischen Spiele Tokio 2020 sein. Doch diese wurden erst um ein Jahr verschoben, dann verpasste Köhler die Qualifikation wegen einer Corona-Infektion.

“Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen”, beschreibt sie später diesen Tiefschlag.

Es war der erste große Einschnitt in ihrer bis dahin steil nach oben verlaufenden Karriere.

Aber zugleich war es auch ein Segen für sie. Sie entdeckte den Ort, an dem sie zu hundert Prozent sie selbst sein darf.

Rücksichtnahme wegen ADHS

Köhler wurde zur Veränderung gezwungen, auch weil es im deutschen Schwimmsport Umstrukturierungen gab.

Es war klar: Köhler muss weg aus Hannover. USA oder Berlin? Das war die Frage.

Köhler entschied sich für Berlin, wo Lasse Frank die Trainingsgruppe leitet. Den dort trainierenden Rückenschwimmer Ole Braunschweig, heute ihr best buddy, kannte sie bereits.

Während man sich in der Magdeburger Gruppe um Florian Wellbrock auf die langen Distanzen konzentriert, wurde Berlin zur deutschen Sprint-Schmiede ausgebaut.

Diese Trennung sei nicht nur wegen der unterschiedlichen Länge der Strecken wichtig, betont Köhler:

“Das ist ein sehr, sehr großer Schlüssel, weil jeder nicht immer das Gleiche braucht. Jeder Körper ist anders, jede Mentalität ist anders, deshalb braucht jeder etwas Unterschiedliches. Und dass das gegeben ist, ist glaube ich ganz gut.”

Köhler braucht vor allem das Entgegenkommen der Trainer. Wie sie mittlerweile weiß, hat sie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung).

“Ich brauche einfach mehr Verständnis. Wo andere sofort ihre Sachen abgeben und sofort bereit sind, brauche ich manchmal spezielle Erholungsphasen. Ich muss sehr darauf achten, dass mein Kopf relativ erholt ist und entspannt ist und ich mich voll auf mein Rennen oder das Training fokussieren kann”, erklärt sie bei Olympics.com die Auswirkungen.

Es spielt auch eine Rolle bei ihrer direkten Vorbereitung auf ein Rennen: “Auf der einen Seite begebe ich mich einen Tunnel. Ich habe meine Routine eine Stunde vor meinem Rennen, die ich konsequent abarbeite. Und ich habe auch immer Musik, die ich höre vor meinem Start. Ich habe immer Kopfhörer auf bis drei Minuten vor Rennbeginn. Dann nehme ich die Kopfhörer ab, um dann noch mal diese ganze Atmosphäre aufzusaugen und mich auch an diese laute Stimmung zu gewöhnen um wieder in diesem Raum, in dieser Zeit anzukommen und mich dann dann voll aufs Rennen fokussieren zu können.”

Die Ablenkung durch äußere Reize, die bei ADHS ansonsten die Konzentration stört, nutzt Köhler in diesem Fall zu ihren Gunsten. Sie saugt die Stimmung auf – um gleich im Wasser, in ihrem Metier Vollgas zu geben.

Shopping als Ablenkung

Um erst gar keinen Stress entstehen zu lassen, sucht Köhler Ablenkungen außerhalb des Sports. Und macht Dinge, die junge Frauen gerne tun: “Ich gehe gern shoppen. Das ist meine Lieblingsbeschäftigung, wenn ich irgendwo anders auf der Welt bin. Zu gucken, was da so gibt, Kaffeetrinken gehen. Andere Städte anzuschauen, das lenkt super ab und man denkt mal nicht ans Schwimmen.”

Mit der Stadt der Mode ist sie für diese Ablenkung derzeit am perfekten Ort.

Aber auch das sportliche Geschehen, die besondere Atmosphäre Olympischer Spiele will sie aufsaugen:

“Es ist schön, dass man auch die Möglichkeit hat, andere Sportarten kennenzulernen. Es gibt ja neue Sportarten wie Breaking. Das finde ich auch ganz interessant, da mal reinzuschnuppern und sich mit den Sportlerinnen und Sportlern persönlich zu unterhalten. Sich einfach mal austauschen können und zu fragen: “Wie ist es denn bei euch, wie viel trainiert ihr? Solche Gespräche bereichern einen immer.”

Die zweite Woche nach ihren Schwimm-Wettbewerben will sie nutzen, um andere deutsche Sportlerinnen und Sportler anzufeuern:

„Ich würde mir gerne ein paar Leute angucken, die ich persönlich kenne und die ich gerne dann auch supporten möchte.“

Dazu gehört unter anderem Speerwerfer Julian Weber, den sie aus Bundeswehrzeiten kennt.

Vielleicht hat sie beim Anfeuern dann schon eine Olympische Medaille im Gepäck.