Emma Lund: Wie Para Radsport der dänischen Weltmeisterin half, Mobbing und Depressionen zu überwinden

Von Sebastian Mikkelsen
8 min|
Emma Lund gewann bei den Weltmeisterschaften 2023 eine Bronze- und eine Goldmedaille.
Foto von Emma Lund

Para Radfahrerin Emma Lund aus Dänemark weiß, wie es sich anfühlt, nicht dazuzugehören.

Sie wurde mit Zerebralparese geboren, einer Störung, die ihre motorischen Fähigkeiten, Balance, Bewegungen und kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt.

Das hat sie nicht nur körperlich, sondern auch mental beeinflusst.

„Als Jugendliche hatte ich immer das Gefühl, dass ich falsch oder anders war“, sagte Lund zu Olympics.com. „Ich fühlte mich einfach nicht gut genug, um hier zu sein.“

„Wenn man mit vielen anderen behinderten Menschen spricht, merkt man, dass sie irgendwie dasselbe Gefühl bezüglich ihres Selbstwertgefühls haben.“

„Als ich mit dem Radfahren begann, war es das erste Mal, dass ich dachte: ‚Ich bin gut in etwas.‘ Es war etwas, das mir niemand wegnehmen konnte. Das hat mir eine Art von Selbstvertrauen gegeben.“

Das Selbstvertrauen der Dänin wuchs besonders, als sie bei Wettkämpfen zunehmend größere Erfolge erzielte. Im vergangenen Jahr wurde ihr das begehrte Regenbogen-Trikot überreicht, das symbolisiert, dass sie ihr großes Ziel erreicht hat: Weltmeisterin im Para Radsport Straße.

Emma Lund mit ihrem Trike, ein Fahrrad mit drei Rädern

Foto von Claus Erichsen

Emma Lund: „Ich wollte nicht als anders herausgestellt werden“

Lund und ihre Zwillingsschwester haben eine sehr enge Bindung, obwohl es für sie auch schwierig war, jemanden jeden Tag zu sehen, der genauso aussieht wie sie, aber Dinge tat, die sie nicht konnte.

„Es hat mir eine Art Ideal gegeben, was ich tun können sollte, und eine Art ungleiche Konkurrenz“, sagte Lund. Ihre Eltern haben versucht, die beiden Schwestern gleichzubehandeln.

Mit einer Zwillingsschwester aufzuwachsen, die nicht unter Zerebralparese leidet, hatte Lund immer ein ungleiches Spiegelbild aufgezeigt.

Lund war gespannt, wie die anderen Jugendlichen bei dem Wechsel auf die Highschool reagieren würden. Obwohl sie Mobbing nicht explizit erwähnt hat, scheint sie einige negative Erfahrungen aufgrund ihrer unkontrollierten Bewegungen gemacht zu haben.

Am ersten Tag in der Highschool war die Begrüßung durch ihre neuen Klassenkamerad*innen nicht so, wie sie es sich erhofft hatte.

„Ich wurde mit Kommentaren wie 'Bist du betrunken?' oder 'Bist du auf Drogen?' begrüßt“, erinnerte sie sich. „Es ist nicht so, dass ich ihre Reaktion nicht verstehen kann. Aber es ist nicht schön, solche Dinge gesagt zu bekommen, wenn man nur versucht, dazuzugehören.“

„Ich habe alles getan, um nicht aufzufallen. Ich kam in die Highschool, kannte niemanden, und dann wurde darauf hingewiesen, anders zu sein.“

In diesem Alter begann Lund auch, wie die meisten Jugendlichen, abends auszugehen und die Bars der Stadt zu entdecken. Dies stellte sich als eine größere Herausforderung für sie und ihre Freunde heraus, als sie gedacht hatte.

„Viele Male wurde ich nicht hineingelassen, oder ich wurde rausgeschmissen. Auch meine Freunde wurden auch rausgeschmissen, wenn sie mit dem Türsteher diskutierten“, erklärte sie. „Meine Zwillingsschwester und ich sind schon oft zusammen ausgegangen, weil ich mich sicher fühle, wenn ich jemanden habe, dem ich vertraue und der mich immer unterstützt.“

„Sie hat bei einem Nachtclub Hausverbot, weil sie sich mit einem Türsteher darüber gestritten hat, ob ich reingelassen werde oder nicht. Ich wollte einfach die Atmosphäre erleben, die man fühlt, wenn man jung ist. Leider sieht man behinderte Menschen sehr selten im Nachtleben.“

„Ich wollte nicht als anders herausgestellt werden, aber es ist trotzdem passiert. Also habe ich oft diese Niederlagen erlebt, denen man in der Gesellschaft begegnet. Es war wirklich schwer, meine Denkweise an eine Gesellschaft anzupassen, die nicht zu mir passt, und das ist etwas, woran ich immer noch arbeite, aber jetzt habe ich es so weit wie möglich akzeptiert.“

Emma Lund „Der Sinn meines Lebens ist es, so gut wie möglich auf diesem Fahrrad zu werden“

Radsport hatte einen großen Einfluss auf Lunds Leben und das seit ihrer Kindheit, wo sie es liebte, die Tour de France zu sehen. „Es war immer der Höhepunkt meines Sommerurlaubs“, sagte die Para Radsportlerin.

Ihre Eltern und Geschwister genossen es, Fahrrad zu fahren. Jedes Mal, wenn sie zurückkamen, würden sie über die schöne Fahrradtour und das, was sie gesehen hatten, reden, was bei Lund allerdings das Gefühl hinterließ, etwas verpasst zu haben.

Sie versuchte mehrmals, ein Zweirad zu fahren, aber es war ihr nicht möglich, es zu kontrollieren. „Ich konnte mich nicht gleichzeitig auf zwei Dinge konzentrieren, weil mein Gleichgewicht so schlecht ist“, sagte Lund.

Im Jahr 2018 wandte sich Lund an das Paralympische Komitee in Dänemark, was sich als lebensverändernde Entscheidung erwies.
Der Para Sport Verband Dänemark erzählte ihr vom Trike, ein Fahrrad mit drei Rädern, das für Menschen mit Koordinations- und Gleichgewichtsproblemen entwickelt wurde und in den Klassifikationen T1-T2 verwendet wird. Sie traf sich mit dem Para-Radsport-Nationalteam, und für die junge Dänin war der Anblick des Trikes Liebe auf den ersten Blick.

„Ich erinnere mich, wie ich das erste Mal auf diesem Fahrrad saß und dachte: 'Das ist es, was ich tun muss'. Der Sinn meines Lebens ist es, so gut wie möglich auf diesem Fahrrad zu werden“, sagte Lund. „Dann war da noch die Aussicht, mit meinen Eltern und Geschwistern Fahrrad fahren zu können, was mein innerer Antrieb war.“

„Es dauerte etwas Übung, um zu lernen, wie man damit fährt. Aber egal, wie oft ich gestürzt bin, ich musste einfach wieder aufstehen. Das war meine Einstellung. Ich gebe nicht so leicht auf. Schnell merkte ich, dass ich tatsächlich etwas in diesem Sport erreichen konnte. Ich wollte Weltmeisterin in etwas werden.“

Das Radfahren hat auch einen positiven Einfluss ihre mentale Gesundheit. Das Trike diente ihre als wichtiges Hilfsmittel, um ihre zwölfjährige Depression zu überwinden.

„Das Radfahren hat mir einen freien Kopf und einen mentalen Schub beschert“, sagte die 26-Jährige. „Das Training setzt Endorphine im Gehirn frei, und den Kopf beim Radfahren frei zu bekommen, ist einfach das Beste. Ich liebe es, und es hat mir viel Selbstvertrauen gegeben.“

„Natürlich sind einige der unangenehmen Erfahrungen immer noch irgendwo in mir gespeichert. Aber ich bin so glücklich, dass ich diesen Sport gefunden habe, in dem ich unter gleichen Bedingungen mit anderen antreten kann, die dieselben Herausforderungen haben wie ich. Es zeigt mir, dass meine Behinderung keine Einschränkung sein muss.“

**Emma Lunds Träume wurden wahr und noch viel mehr
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Es dauerte nicht lange, bis Lund bereits ihre ersten großen Erfolge erzielte. Bereits 2021 wurde sie Landesmeisterin. Im darauffolgenden Jahr holte sie bei der Europameisterschaft und der Weltmeisterschaft jeweils eine Bronzemedaille in der T2-Wertung.

Ihr Karrierehöhepunkt kam jedoch im Jahr 2023, als sie in Glasgow Weltmeisterin wurde und im Sprint die große Konkurrentin Celine van Till aus der Schweiz besiegte.

„Es war so verrückt“, sagte Emma Lund über ihren Sieg bei der Weltmeisterschaft.

„Ich hatte sie noch nie zuvor geschlagen. Meine Familie war da, und alles war für bereit, um zu gewinnen. Ich war so verärgert nach meiner Bronzemedaille im Einzelzeitfahren, als ich sieben Sekunden zu langsam für Silber war.“

„Also dachte ich einfach; 'jetzt muss ich alles geben, was ich kann'. Es war einfach das coolste Gefühl, es zu gewinnen.“

Sie hatte ihr Ziel erreicht. „Es war unglaublich, es zu tragen (das Regenbogen-Trikot). Ich kann es nicht beschreiben. Es war so verrückt.“

Anfang dieses Jahres, im Januar, wurde Emma Lunds außergewöhnliche Leistung in Schottland mit dem Para Sportpreis des dänischen Kulturministers ausgezeichnet. Sie wurde auf der Bühne bei einer jährlichen Sportpreisverleihung in Herning geehrt, wo auch viele dänische Sportstars anwesend waren.

„Ich hatte eine schöne Rede vorbereitet, aber als ich von der Bühne herunterschaute und Mikkel Hansen mit dem Rest der Männer-Handballnationalmannschaft sah, konnte ich mich an nichts erinnern. Ich wurde sehr nervös, aber es war eine wirklich coole Erfahrung, und ich konnte sie mit meiner Familie teilen, die mich jeden Tag motiviert.“

Emma Lunds Ehrgeiz ist erneut geweckt: die paralympische Goldmedaille

Mit Lunds Ergebnissen hat sie für Dänemark einen Quotenplatz für Paris 2024 erzielt, der voraussichtlich an sie als Weltmeisterin von 2023 vergeben wird.

Ende 2022 brach Lund ihr Krankenpflegestudium ab, um sich vollkommen auf das Radfahren konzentrieren zu können. Mit Unterstützung des Nationalen Olympischen Komitees und des Sportbunds von Dänemark ist seit dem letzten Jahr Vollzeit-Para-Radfahrerin.

Sie hat sich voll und ganz den Spielen in Frankreich verpflichtet. Trotz aktueller Rückenverletzung hat sie hohe Erwartungen an sich selbst.

„Ist es arrogant zu sagen, dass ich erwarte, Gold zu gewinnen? Ich wäre auch zufrieden mit Gold im Straßenrennen und einer Silbermedaille im Zeitfahren“, sagte Lund, die gerade erst in Paris war, um sich die Strecke genauer anzusehen.

„Der Schlüssel wird sein, dass ich mich auf meine Stärken konzentriere und versuche, meine Schwächen zu verbessern. Auch wenn ich nicht genau weiß, wie ich meine Schwächen verbessern kann, aber ich werde es versuchen müssen.“

„Es ist ein wenig traurig, dass ich bei den Paralympics nicht im Regenbogen-Trikot fahren kann. Das wäre so cool gewesen.“

Neben dem Ziel, ein großartiges Ergebnis in der französischen Hauptstadt zu erzielen, möchte Lund andere Menschen inspirieren und ermutigen.

„Ich hoffe wirklich, dass ich anderen Menschen mit Behinderungen zeigen kann, dass Radfahren ein toller Sport ist, betonte Lund. „Ich hoffe, dass Menschen mit oder ohne Behinderungen erleben können, was Radfahren einem geben kann. Die Freude, die man auf dem Fahrrad hat, hilft auch, sich selbst zu stärken.“

„Sie müssen die Möglichkeiten sehen, dass sich nicht einschränken müssen, auch wenn sie behindert sind.“

Da die Nationalen Olympischen Komitees die ausschließliche Zuständigkeit für die Vertretung ihrer jeweiligen Länder bei den Paralympischen Spielen haben, hängt die Teilnahme der Athlet*innen an den Pariser Spielen davon ab, dass ihr NOK sie als Vertreter*innen ihrer Delegation für Paris 2024 auswählen.