Für die sechsfache Deutsche Meisterin im Taekwondo, Lorena Brandl, startet und endet jeder Tag mit den Olympischen Ringen. Wenn sie aufwacht und ihre Augen öffnet, blick sie als allererste auf die Flagge, die über Ihrem Bett hängt und sie täglich an ihr großes Ziel erinnert: die Olympischen Spiele Paris 2024.
„Wenn man das Ziel täglich vor Augen hat, ist es noch einfacher“, sagte Brandl ihrer Trainingseinheit exklusiv zu Olympics.com und lachte.
Brandl ist aktuell Deutschlands erfolgreichste Taekwondo Kämpferin und steht auf Platz 8 (+67 kg) im WT Olympic Ranking. Sie ist bekannt für ihre hohen Tritte (High Kicks), die bei ihr fast mühelos wirken, auch dank ihres jahrelangen Trainings im Einradfahren.
Was haben das Einradfahren und Taekwondo gemeinsam?
Für beide Sportarten sind eine immense Balance, Koordination und Gleichgewicht nötig, um ohne Lenker auf einem Rad zu fahren und auf einem Bein stehend Titte auszuüben oder abzuwehren. Die 1,86 m große Lorena Brandl hat das Einradfahren aus purer Freude perfektioniert und wurde darin dreifache Deutsche Meisterin (2008-2010).
Brandl entschied sich aufgrund des Zeitaufwands für eine Sportart und wählte schließlich diejenige, die ihr am meisten Spaß macht.
„Taekwondo ist so individuell, es gibt so viele verschiedene Bereiche zu trainieren. Egal ob Gleichgewicht oder Reaktionsschnelligkeit. Das variiert so vehement und das finde ich, ist das Besondere an unserem Sport,“ sagte Brandl.
„Du brauchst so viel Dehnung, aber gleichzeitig kostet es so viel Kraft. Das Zusammenspiel von allen, das fasziniert mich bis jetzt noch.“
In wenigen Tagen steht ein entscheidender Wettkampf für Brandl bevor – das Grand Prix Finale in Manchester 2023 vom 1. bis 3. Dezember**. Im vergangenen Jahr hat Brandl dieses Turnier gewonnen und will in diesem Jahr ihrem großen Ziel ein großes Stück näherkommen, indem sie sich die entscheidenden Punkte sichert.
Nach diesem Turnier endet die Wertung der olympischen Rangliste. Nur die fünf bestplatzierten Athletinnen und Athleten pro Gewichtsklasse im WT Olympic Ranking sichern sich jeweils eine Quote für ihr jeweiliges NOK.
„Ich hoffe so sehr, sehr, sehr, dass mein Traum [vom Quotenplatz] im Dezember schon in Erfüllung geht und ich nicht im Februar zum Europa-Qualifikationsturnier muss. Aber es kann alles passieren“, sagte Brandl.
Da die Nationalen Olympischen Komitees die ausschließliche Zuständigkeit für die Vertretung ihrer jeweiligen Länder bei den Olympischen Spielen haben, hängt die Teilnahme der Athlet*innen an den Pariser Spielen davon ab, dass ihr NOK sie als Vertreter*innen ihrer Delegation für Paris 2024 auswählen.
Erfahren Sie, warum Freundschaft und mentale Stärke für Lorena Brandl so wichtig sind, um den Weg zu Paris 2024 und die Spiele erfolgreich zu meistern.
High und Low Kicks der Emotionen
Lorena Brandl wuchs in einem kleinen Dorf in der Nähe von Mittelstetten in Bayern auf. Als ihre Freundinnen ihr von der Kampsportschule Tiger and Dragon Taekwondo erzählten, wollte sie mit zum Training. Sie merkte gleich, dass es ihr Spaß machte, und kam immer wieder.
2011 hörte ihr damaliger Trainer auf, und Brandl überlegte selbst, ihren Taekwondo-Anzug, genannt Dobok, im Schrank zu verstauen.
„Mein Papa hat gesagt, 'du gehst da noch mal hin, du schaust dir das an, es kommt ein neuer Trainer. Hör nicht einfach auf, sondern schau einfach, wie's dir gefällt. Es wäre sonst zu schade'.“
Diesem Ratschlag ist sie zum Glück gefolgt. Ihr neuer Trainer, Bernhard Bruckbauer, motivierte sie an Wettkämpfen teilzunehmen und ist seit 2011 an ihrer Seite.
„Er [Bruckbauer] sagte zu mir: Lorena du bist groß, hast lange Beine, aus dir können wir eine Wettkämpferin machen'“, erinnert sich Brandl daran, als sei es gestern gewesen.
Bereits 3 Jahr später trat sie für die deutsche Nationalmannschaft an und schien danach nicht mehr zu stoppen zu sein. Sie gewann sechs Mal den deutschen Meistertitel (2016, 2019, 2020, 2021, +73 kg Nürnberg 2023, +67 kg Düsseldorf 2023) und Bronze bei der Weltmeisterschaft 2022.
Nur die Corona-Pandemie 2020 legte ihr, wie so vielen anderen Athletinnen und Athleten, Steine in den Weg. Sie infizierte sich zwei Monate vor dem Euroqualifikationsturnier 2020 mit Corona, dieses Turnier war ihre letzte Qualifikationsmöglichkeit für die Spiele in Tokio. Sie spürte auch am Wettkampftag noch die Spätfolgen, ihre Reaktionszeit und ihr Gleichgewicht waren stark beeinträchtigt. Ihr Traum von Tokio war geplatzt.
„Deswegen will ich es dieses Jahr umso mehr. Für jeden Leistungssportler, der auf diesem Level ist, ist Olympia das höchste, was wir erreichen können. Dafür arbeitet man halt sehr hart, egal wie viele Stunden, Jahre, für diesen einen Moment.“
Taekwondo nur im Doppelpack
„Wir reisen zu jedem Wettkampf zusammen, außer es kommt eine Verletzung, aber ansonsten gibt es uns nur im Doppelpack,“ sagte Brandl über ihre beste Freundin, Vanessa Körndl.
Die beiden Taekwondo-Kämpferin haben beide zusammen als Kinder mit dem Sport begonnen und sind seitdem unzertrennlich. Beide wollen an die Weltspitze. Sie kämpfen allerdings in unterschiedlichen Gewichtsklassen, wodurch sie im Wettkampf nicht gegeneinander antreten. Aktuell belegt Körndl, fünffache Deutsche Meisterin -67 kg, den 20. Platz im WT Olympic Ranking.
Während einige Athletinnen und Athleten gelegentlich von Heimweh geplagt werden, genießen die beiden Freundinnen die Wettkampfreisen und sind stets füreinander da. Ein Stück Heimat begleitet sie immer.
Von Montag bis Freitag bilden Brandl, Körndl und ihr Trainer Bruckbauer, der gleichzeitig auch Bundestützpunktrainer ist, eine Fahrgemeinschaft. Gemeinsam fahren sie um 8 Uhr morgens zum Training im Bundesleistungszentrum Nürnberg und abends wieder zurück. Während der Autofahrt haben sie bereits Gelegenheit, einige Trainingsdetails zu besprechen.
„Normalerweise variiert unsere Woche. Es kommt darauf an, in welcher Wettkampfs Phase wir uns befinden. Also einmal Laufen, dann Taekwondo oder halt Kraft, Ausdauereinheiten und ganz viel Stabilität im Training. Ich habe viele Verletzungen in der Vergangenheit gehabt und die kann man damit echt sehr gut vorbeugen,“ sagte Brandl.
Wenn die Motivation einmal nachlässt, richtet Lorena Brandl ihren Blick auf ihre Medaillenwand und besonders gerne auf ein Plakat, ein Geschenk, das für sie einen großen Wert hat. Eine Freundin hat eine Bildcollage mit Brandls Erfolgsmomenten erstellt und mit der inspirierenden Überschrift „Follow Your Dreams“ versehen. Jedes Mal, wenn sie darauf schaut, erinnert es sie daran, wofür sie jeden Tag hart trainiert. Die Freundschaft stärkt und begleitet Lorena Brandl während ihrer gesamten Karriere als Leistungssportlerin.
Im Kampf entscheidet die mentale Stärke
„Ich arbeite seit mittlerweile zweieinhalb Jahren oder sogar noch länger auch mit Mentaltrainern zusammen. Die haben mir brutal viel beigebracht und mich unterstützt. Sie haben mir Strategien gezeigt, wie es viel einfacher ist, wo man allein einfach nicht draufkommt,“ sagte Brandl.
„Ich habe dann Strategien gekriegt, an was ich vor dem Kampf denke, wie ich selber mit mir rede, damit ich ruhig bleibe, damit die Nervosität nicht steigt, sondern ich sie in Energie umwandeln kann.“
„Es ist sehr erleichternd, wenn das funktioniert, weil der Körper dann ganz anders arbeitet und ganz anders im Kampf ist.“
Brandl sagt sich vor den Wettkämpfen positive Sätze wie: „Du bist stark. Du bist die Beste. Andere haben Respekt vor dir. Bleib ganz ruhig."
„Man muss sich vorstellen können, was man schaffen will. Wenn man sich es vorstellen kann, dann kann man es auch erreichen.“
Die Takewondo-Athletin benutzt diese Strategien auch im Kampf, um sich von den manchmal harten Schlägen trotz Schutzausrüstung nicht beeinflussen zu lassen. „Es tut manchmal weh, aber man steckt es halt weg und damit hat man sich abgefunden. Das ist unser Sport, mehr Kampfsport und das da ist halt kein Streicheln,“ sagte Brandl und schmunzelt.
„Ich habe mir in einem Kampf den Ellbogen gebrochen. Ich habe trotzdem weitergekämpft und habe das Finale auch noch gekämpft, weil ich den Gegnerinnen nicht die Goldmedaille geben wollte.“
„Das habe ich nur geschafft dank dem Adrenalin, ich habe danach solche Schmerzen gehabt. Aber in dem Kampf, da bist du in deinem Film.“
Brandls Körper und Geist sind für den Manchester Grand Prix 2023 bestens vorbereitet, und das Doppelpack ist entschlossen, jeweils eine Medaille nach Hause zu holen.