Ringerin Rotter-Focken über Olympia-Erfolg, Muttersein und Fackeltragen für Paris 2024
Aline Rotter-Focken hat ihr Kapitel als professionelle Ringerin mit dem Titelsieg bei den Olympischen Spielen in Tokio beendet, aber wird dennoch ein wichtiger Teil der Pariser Spiele sein. Denn die Deutsche ist eine der Auserwählten, die die Olympische Fackel tragen wird. Olympics.com hat exklusiv mit Rotter-Focken über ihr Leben nach der Sportkarriere gesprochen.
Aline Rotter-Focken schaltet sich aus einem Hotelzimmer in unseren Videocall ein. Sie ist zu den Europameisterschaften im Ringen ins rumänische Bukarest gereist. Auf der Matte kämpfen wird sie jedoch nicht, sondern als Expertin den Kommentar unterstützen.
Rotter-Focken als Teil des Olympischen Fackellaufs
Gerade bekommt die ehemalige Profisportlerin aber nicht für diesen kompetenten Einsatz, sondern aufgrund eines zukünftigen besonders viele herzliche Nachrichten. Denn der 32-Jährigen wird die Ehre zuteil das Olympische Feuer ein Stück Richtung Paris zu tragen.
„Für mich ist es riesig, weil ich bin nach wie vor komplett verliebt in die Olympischen Spiele.“
„Und jetzt irgendwie noch diese Fackel zu tragen, […] das war das Letzte, was ich noch dachte, dass es auf meiner Liste fehlen würde.“
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Lange Liste an Zielen und Träumen
Auf Rotter-Fockens To-Do-Liste standen nicht gerade wenige Aufgaben, allesamt nur für einen kleinen Kreis greifbar. Zuerst dachte sie sich:
- „Ich will unbedingt diesen Adler einmal für Deutschland auf der Brust haben, international mich zeigen.“
- „Als es dann wahr war, dann kam wirklich so der Traum von Titelgewinn,
- einmal die Nationalhymne hören,
- einmal bei Olympia dabei sein,
- und dann irgendwie auch unbedingt die erste Deutsche zu sein, die eine Olympiamedaille gewinnt im Frauenringen.“
Mit Hand auf dem Adler über dem Herzen die Nationalhymne für sich spielen hören, am besten bei Olympia. Die Kombination dieser Träume gelang ihr beim Olympiasieg 2021.
Doch ein dritter Coup bei dritten Olympischen Spielen (2016, 2021) sollte nicht hinzukommen, denn schon lange vor den Olympischen Spielen in Tokio war klar, dass nach dem verschobenen Sportgroßereignis Schluss sein würde.
Denn auch abseits vom Sport hatte Rotter-Focken Träume gehegt.
- „Ich wollte unbedingt eine Familie gründen. Das kam noch auf meine Liste der Lebenswünsche.
- Und immer so insgeheim, weil ich wusste, da habe ich ja nicht direkten Einfluss darauf, war auch dieses Olympische Feuer so in meinen Gedanken.“
Abgang mit Ankündigung
Trotz ihrer brennenden Liebe für das Ringen und der Olympischen Spielen wollte sie nie eine derer werden, die den Ausstieg verpassen, weil sie sich nicht von ihrer Leidenschaft als Mittelpunkt des Lebens verabschieden können.
„Ich habe damals schon gesagt, mein Papa war mein Trainer, ‘Bitte, wenn ich irgendwann so weit bin, dass ich diese Grenze überschreite, […] dass es ungesund wird, dass es so wird, dass die Ärzte sagen, ‘Du kannst vielleicht nie wieder irgendwas über den Kopf heben’ oder so, dann dann bitte halt mich auf.’“
Mit Mentaltraining hat sie sich auf dem Weg von Rio 2016 nach Tokio in Gedanken auf den letzten Kampf ihrer Karriere vorbereitet. Für sie war der Olympiasieg der krönende Abschluss eines wundervollen Kapitels.
„Es prickelt immer, wenn du dann die Leute auf der Matte siehst. Du denkst, es war eigentlich schon echt ‘ne geile Zeit, aber ja, es ist auch wirklich viel, viel angenehmer es sich von außen anschauen zu können.“
Doch andere vermuten weiterhin fehlende Seiten. „Jeden Tag fragen mich hier die Trainer ‘Wann bist du wieder da und wann kommst Du zurück?’ Es ist ausgeschlossen. Ich wollte immer, dass das mein letzter Kampf ist und am liebsten eben die Goldmedaille gewinnen und dann aufhören, damit kann mich auch niemand mehr schlagen,“ fügt sie lachend hinzu. Der in Rio de Janeiro geschmiedete Plan ging perfekt auf.
Neues Kapitel: Mamasein
Ebenso wie das neue Kapitel Familienplanung. Als sie im Dezember 2021 bei der Ehrung zur ‘Sportlerin des Jahres’ Silber entgegennahm war sie bei Schritt und Tritt (von innen) nicht mehr alleine unterwegs. Die neue Aufgabe als Mutter hat ihre Wahrnehmung seither geprägt.
Der Alltag ist ein „Jonglieren von verschiedenen Rollen, wo man auch einfach seinen Perfektionismus ein bisschen ablegen muss. Man kann nicht 100 % arbeiten und nur sein Business perfekt machen, die perfekte Mutter sein, genug schlafen, [und] super essen.“
Heute ist Rotter-Focken neben Kommentatorin und Mutter auch Keynote Speaker und in der Funktionärebene des Deutschen Ringer-Bundes tätig.
Um den Aufgaben gerecht zu werden, müssen Prioritäten gesetzt werden und Sohn Ilian steht bei seiner Mama wortwörtlich über allem anderen - auch dem Olympiasieg.
Dabei hatte die Kampfsportlerin früher nicht gedacht, dass sie dem Titel irgendwann etwas überordnen würde. „Dieses Wort ‘Olympiasiegerin’ und alles rund um Olympia bedeutet mir extrem viel. Aber ja, die Geburt meines Sohnes hat das ja alles noch mal auf den Kopf gestellt.“
Hoffnung für Team Deutschland in Paris
In Tokio waren sieben Deutsche dabei, drei hatten auf dem Rückweg eine olympische Medaille im Gepäck.
„Das ist für eine kleine Ringernation ein außerordentliches Ergebnis. Und jetzt ist es einfach so, dass alle Medaillengewinner und fast alle außer zwei Starter ihre Karrieren beendet haben.“
Die Fluktuation des Talentpools ist jedoch nicht die einzige Variable mit der Team Deutschland klarkommen muss. Bei den Weltmeisterschaften „haben wir 50, 55 Gegnerinnen, und in unserer Gewichtsklasse bei Olympia nur 16. Aber dieser Weg dahin, diese Qualifikation, gerade als Europäerin, ist unglaublich schwer. Wir haben nur drei Möglichkeiten das überhaupt zu schaffen. Wenn du einmal krank bist, dann sind es zwei.“
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Einen Quotenplatz hat im vergangenen Jahr Luisa Niemesch mit Bronze bei der EM für Team Deutschland gesichert. Mit der Silbermedaille 2024 holte die 28-Jährige zum dritten Mal in Serie eine EM-Medaille. Noch ist nicht sicher ob der Quotenplatz auch an Niemesch selbst vergeben wird, aber Rotter-Focken sieht für ihre ehemalige Teamkollegin, die Tokio verpasst hat, große Chancen.
„Ich hoffe, dass wir mit allen drei Stilarten vertreten sind. […] Ich glaube eine Medaille ist das große Ziel und der Traum so ein bisschen.“
Olympiasiegerin im Ringen aber auch Mama und einfach Aline
Abseits der bevorstehenden Nominierungen und Wettkämpfe erinnern sie viele kleine Momente an die Olympischen Spiele: Ihre goldene Kette mit fünf verwobenen Ringen, ihr Tagebuch von Tokio, von ihrem Mann aufgehangene Fotos im eigenen Zuhause, alle kleiner als erwartet.
„Ich dachte jeden Tag meines Lebens würde ich, wenn ich aufstehe, erst mal kurz durchatmen, mir das in Erinnerung rufen, meine Medaille anschauen und stolz sein. Aber so ist es natürlich auch ganz und gar nicht mehr. Also gerade mein Sohn, der hat mir einfach gelehrt Du kannst sein, was du willst, wenn die Windel voll ist, dann interessiert es den nicht.“
Aber anders würde sie es nicht haben wollen. Die vervollständigte Liste, das Jonglieren, die Verbindung zum Sport abseits der Matte, das neue Kapitel.
„Ich bin gerne die Olympiasiegerin, aber ich bin noch viel lieber Aline.“