Fünf historische Momente der deutschen Geschichte bei Olympischen Spielen
Die deutsche Sportgeschichte bei Olympischen Spielen ist vielfältig. Triumphe, Tragödien, Emotionen, Rekorde und Sensationen – Stichwörter zu denen deutschen Fans sowie Sportler und Sportlerinnen sicher zahlreiche Momente einfallen. Wenige Tage vor Beginn von Paris 2024, der nächsten Ausgabe der größten Sportveranstaltung der Welt, wagen wir einen Blick zurück. Bei Olympics.com lassen wir deutsche Olympia-Geschichte wiederaufleben. Heute schauen wir auf fünf der historischsten Momente der Spiele.
Steffi Graf - Golden Slam in Seoul 1988
Es mag schon etwas heißen, wenn eine deutsche Sportlerin in einer der populärsten und geschichtsträchtigsten Sportarten der Welt, ein Kunststück vollbrachte, das bis heute Alleinstellungsmerkmal in der Tennis-Welt genießt.
Gemeinsam mit Boris Becker und Michael Stich stand Steffi Graf stellvertretend für den größten Tennis-Hype, den Deutschland bis dato erlebt hatte. In Zahlen war jedoch keiner der männlichen Kollegen erfolgreicher, wie die Frau, die stets einen Platz in der Hall of Fame ihrer Sportart sicher haben wird. 22 Grand-Slam-Titel sammelte die heute in den USA lebende Ikone, nur Serena Williams sammelte mehr Trophäen in den vier wichtigsten Tennis-Turnieren (Wimbledon, French Open, Australian Open, US Open) der Welt. Doch was Steffi Graf im Jahr 1988 gelang, ist bis heute unerreicht.
Das gerade einmal 18-jährige Supertalent hat den Durchbruch in die Weltspitze gerade hinter sich. Die Welt staunt über eine Spielerin, die im Alter von 17 Jahren mit den French Open 1987 gerade ihren ersten Grand-Slam-Titel gewonnen hat und sich danach mit 13 weitere Einzeltiteln an die Spitze der Weltrangliste setzte. Nun fragten sich Experten und Fans gleichermaßen, ob an dieser junge Sportlerin zukünftig überhaupt ein Weg vorbeiführen würde.
Sie bekamen eine Antwort: Graf startete perfekt die Saison. Bei den Australian Open triumphierte sie nach einem 6:3, 7:6 (7:3) im Finale gegen Chris Evert aus den USA. Bis in den Frühsommer sollten drei weitere Titel folgen, die Frage nach der Favoritin der French Open war vorab geklärt. Ohne einen einzigen Satzverlust stürmte Graf zur Titelverteidigung in Roland Garros. Nun also Wimbledon: Auf dem heiligen Rasen der All England Championships hielt sich Deutschlands amtierende Sportlerin des Jahres bis ins Finale erneut schadlos. Die damals 18-Jährige erreichte ohne Satzverlust das Endspiel. Gegen ihre große Gegenspielerin dieser Zeit, Martina Navratilova, verlor Graf den ersten Satz. Doch nach einem zwei dominanten Satzgewinnen schnappte sich Graf auch den dritten Grand-Slam-Titel der Saison.
Von den US Open, damals im August und September terminiert, hielt die Sportwelt bereits den Atem an: Sollte Graf als zweiter Athletin der Geschichte tatsächlich der Grand Slam gelingen? Die Antwort: Ja! Mit dem Finalsieg gegen Gabriela Sabatani avancierte sie zur zweiten Spielerin nach Margaret Smith Court, die in einem Jahr, alle vier Höhepunkte einer jeden Tennissaison gewann. Doch was Graf dann rund einen Monat nach dem Sieg in New York gelang, ist bis heute einzigartig.
Bei den Olympischen Spielen in Seoul sah sich der Teenager (!) einer unglaublichen Begeisterung gegenüberstehen. Unter dem Druck der schieren Erwartungshaltung stehend, blieb die in Mannheim geborene Sportlerin nervenstark. Kribblig wurde es erst im Viertelfinale, doch nach dem Satzausgleich von Laryssa Sawtschenko (POL) fand Graf – wie immer in diesem Jahr – eine Antwort. Nach dem Halbfinal-Triumph gegen Zina Garrison (USA) besiegte sie erneut Gabriela Sabatani im Finale. Der erste Golden Slam in der Geschichte war perfekt – und ist bis heute einer der historischsten Momente der deutschen Olympiageschichte.
Vier deutsche Beachvolleyball-Helden – London 2012 / Rio 2016
Genau genommen handelt es sich bei diesen Triumphen nicht „nur“ um deutsche Olympia-Historie. Jonas Reckermann und Julius Brink sowie Laura Ludwig und Kira Walkenhorst schrieben Geschichte für einen ganzen Kontinent.
Sonne, Strand, Meer, ein gespanntes Netz und ein Volleyball – wer denkt da nicht an die berühmtesten Strände der Welt, die Copacabana in Rio de Janeiro? Führt man den Gedanken in Bezug auf die Olympischen Spiele weiter, so landet wohl zwangsläufig bei Brasilien. Nicht umsonst. Mit 13 Medaillen bei den sieben Olympia-Ausgabe, zu denen Beachvolleyball bislang gehörte, sind die Athleten dieser Nation, die erfolgreichsten ihrer Sportart. Gemeinsam mit den Delegationen der USA bestimmten sie ab 1996 – dem Olympia-Debüt ihrer Sportart – die Medaillenvergabe bei den Männern und Frauen.
Doch in London 2012 traten Jonas Reckermann und Julius Brink auf den Plan. Für das deutsche Duo war allein die Teilnahme an diesen Wettkampf, die Erfüllung eines großen Traums. Für Reckermann, heute Lehrer an einem Gymnasium in Leverkusen, war es die zweite Olympia-Teilnahme nach Athen 2004. Für Brink war es das Wiedersehen mit den Ringen nach Peking 2008. Freilich, ohne Ambitionen waren die beiden damals nicht nach Großbritannien gereist. 2009 spielte das Duo erstmals zusammen, gleich in der ersten gemeinsamen Saison wurden sie Weltmeister. Es folgten Deutsche Meisterschaften und der zweimalige EM-Triumph (2011, 2012).
So war der souveräne Einzug ins Achtelfinale mit drei Siegen aus drei Spielen und dem ersten Rang in Gruppe C keine Sensation. Doch das deutsche Duo packte in den K.o-Runden noch eine Schippe drauf. Gegen das lettische Duo Samoilovs / Sorokins, die Brasilianer Cunha / Ricardo und schließlich im Semfinale, gegen Nummerdor / Schuil aus den Niederlanden zogen die Deutschen ohne Satzverlust ins Finale ein.
Das Finale gegen die brasilianischen Weltklasse-Athleten Alison Cerutti und Emanuel Rego wurde dann zum Nervenkrimi. Nach einem 23:21 im Auftaktsatz mussten Reckermann und Brink im zweiten Abschnitt dabei zusehen, wie die Favoriten mit einem 21:16 zur Höchstform aufliefen. Das bedeutete, die Deutschen mussten in den Entscheidungssatz um den Olympiasieg. Doch sie zeigten Nerven aus Stahl. Beim 14:11 und drei Matchballen vor Augen war der Olympiasieg bereits zum Greifen nahe. Doch die Brasilianer kämpften sich noch einmal zum Ausgleich - 14:14. Statt den vergebenen Chancen hinterherzutrauen, bewiesen die Deutschen, die es während des Wettkampfs zur großen Bekanntheit in ihrem Land gebracht hatten, unglaubliche Moral und brachten den Sieg doch noch nachhause. Gold für Deutschland, Gold für Europa!
Der erste Olympiasieg eines europäischen Beachvolleyball-Duos in der Geschichte der Spiele war perfekt, in ganz Deutschland jubelte man über dieses historisch Ereignis – und durfte sich vier Jahre später wieder freuen.
Die Fortsetzung bei Rio 2016
Ausgerechnet in Rio de Janeiro stahl ein deutsches Duo erneut den Brasilianern die Show. Laura Ludwig und Kira Walkenhorst machten es den Männern von London 2012 einfach nach. Eine überragende Vorrunde (drei Siege), eine unglaubliche K.O-Runde (wie Reckermann und Brink ohne sämtlichen Satzverlust), brachte die deutschen Damen ins Finale von Rio 2016. Allein mit der Finalteilnahme hatten Ludwig, die ein paar Tagen in ihr fünftes Olympisches Turnier starten wird, und Walkenhorst schon Historisches geleistet.
Es war klar: Zum ersten Mal wird ein europäisches Damen-Duo im Beachvolleyball eine Medaille gewinnen. Welches, das entschied das Finale und hier sollten die beiden Sportlerinnen, die seit 2013 zusammengespielten, gar nichts anbrennen lassen. Mit 21:18 und 21:14 feierten sie ihren sechsten glatten 2:0-Erfolg (nur einen Satz im Turnierverlauf verloren sie) und schmetterten sich so zum größten Erfolg ihrer Karriere. Auf der „Sensations-Skala“ vielleicht noch etwas höher zu platzieren als der Olympiasieg von Reckermann / Brink. Zwar hatten auch die beiden Frauen schon drei gemeinsame Jahre hinter sich, doch erst mit der EM 2015 und der erfolgreichen Titelverteidigung 2016 gab es die ersten großen Titel zu vermelden – umso höher dürfte der historische Olympia-Erfolg noch heute, zu bewerten sein.
Wunderstute Halla trägt Hans Günther Winkel zu zwei Olympiasiegen – Melbourne 1956
Für diesen historischen Augenblick blicken wir deutlich weiter zurück. Der Reitsport gehört nicht erst seit den großartigen Erfolgen von Isabell Werth und Jessica von Bredlow-Werndl zu den erfolgreichsten Olympischen Sportarten der deutschen Athletinnen und Athleten.
Die Reiter und ihre Pferde sind seit Jahrzehnten Garanten für besondere Olympische Momente. Herausragend, weil auf einmalige Weise zustande gekommen, war der zweifache Olympiasieg von Hans Günther Winkler und des deutschen Teams bei den Olympischen Spielen 1956. Während alle anderen Olympioniken in Melbourne auf Medaillenjagd gingen, wurden die Wettkämpfe des Pferdesports in Stockholm ausgetragen.
Zum größten Star in Schweden avancierte in diesen Juni-Tagen ein Pferd: Die Wunderstute Halla. Noch heute darf kein Pferd bei einem deutschen Turnier mit den Namen Halla an den Start gehen. Für immer soll dieser Name ein besonderer bleiben.
Je zwei Läufe mussten Ross und Reiter damals im Springreiten absolvieren. Nach dem ersten Lauf von Winkler stockte dem Publikum und dem deutschen Team der Atem. Winkler, ein Star der deutschen Reiterszene, hatte sich im ersten Lauf verletzt. Erst später konnte man eine Diagnose stellen: Muskelriss in der Leiste! Doch die medizinischen Möglichkeiten waren damals nicht so weit, wie sie heute sind. Selbst wenn der behandelte Arzt diese Diagnose gestellt hätte: Man hätte Winkler wohl fast zwingen müssen das Reitstadion in der Hauptstadt Schwedens zu verlassen. Schließlich galt der 2018 im Alter von 91 Jahren verstorbene Hall-of-Famer des deutschen Sports - damaliger Anführer der deutschen Reiter-Equipe - als äußerst ehrgeizig. Einige Jahre später berichtete Winkler, nur eine Tablette und eine Kanne Kaffee, hätten ihn im zweiten Lauf überhaupt auf dem Rücken seines Pferdes gehalten. Den Rest erledigte die unvergleichliche Halla.
17 Hindernisse hatten die Stute und ihr Partner im Sattel im zweiten Lauf zu bewältigen, für Winkler war eine verletzungsbedingte Aufgabe undenkbar, denn diese wäre auch zu Lasten des Teams gegangen, die ohne ihren Leader keine Chancen auf eine Medaille gehabt hätten. Also opferte er sich auf. Zeitzeugen im Publikum berichteten später, dass bei jedem der 17 Sprünge der Schmerzenslaut des damals 30-Jährigen gut vernehmbar gewesen wäre. Doch schien diese unvergleichliche Stute, die erst 1979 im Alter von 34 Jahren verstarb, in diesem Moment, für ihren stetigen Begleiter da sein zu wollen.
Halla galt als spezieller Charakter, Winkler bezeichnete sie am häufigsten als „geniale Zicke“, viele Pferdesportler waren an den Anforderungen, die der Charakter des Tieres stellte, verzweifelt und hatten von ihr abgelassen. Doch Winkler fand Zugang zum Wesen dieser außergewöhnlichen Stute und baute über Jahre eine innige Beziehung zu ihr auf. All das schien Halla an diesem Tag, dem 17. Juni 1956, ihrem Reiter, auf ihre Art und Weise danken zu wollen. Fehlerfrei absolvierte die Stute den Kurs und führte so Hans Günter Winkel zu zwei Olympiasiegen, im Einzel und gemeinsam mit dem deutschen Team.
Ulrike Nasse-Meyfarth – München 1972
Als bis heute jüngste Olympiasiegerin in einem Leichtathletik-Einzelwettkampf hat die deutsche Hochspringerin einen Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt staunte man im Jahr 1972 über die damals gerade einmal 16-jährige Ausnahme-Athletin Ulrike Mayfarth. 1,88 Meter maß die noch heute legendäre deutsche Sportlerin schon damals. Als eine der wenigen Profis ihrer Zeit sprang die Hochspringerin schon damals, den heute üblichen Fosbury-Flop. Nervosität verspürte sie vor ihren Sprüngen damals nicht, wie sie später in einem Interview verriet. „Mich kannte keiner und niemand erwartete etwas von mir. Wieso sollte ich mich groß verrückt machen?“, so beschrieb sie ihre damaligen Gefühlen einst gegenüber dem Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV).
Zehn Teenager, die bei Paris 2024 für Furore sorgen könnten
Ob diese Lockerheit am Ende das Geheimnis ihres legendären Wettkampfs war, wird nie zu beantworten sein. Jedenfalls war der Wettkampf eins: Schlicht außergewöhnlich. Im Münchener Olympiastadion übersprang die Sensationssiegerin die 1,92 Meter und stellte neben ihrem Olympiasieg auch noch einen neuen Weltrekord auf. Ein legendärer Moment, der noch über viele Stunden hinaus wohl das Thema der Spiele gewesen wäre, wenn nicht einen Tag später, der schreckliche Anschlag auf die israelische Delegation einen Schatten über das größte Sportevent der Welt gelegt hätte.
Aus Meyfarth sollte dennoch ein großer Star werden, die in den Folgejahren aber auch sportliche Krisen zu meistern hatte. Die heute 68-Jährige, eine meinungsstarke und sehr engagierte Frau, kämpfte sich aber noch einmal zurück, um holte sich bei Los Angeles 1984 ihre zweite Olympische Goldmedaille. München 1972 ist bis heute aber Ausgangspunkt einer großartigen Laufbahn mit zahlreichen deutschen Meistertiteln, einen Sieg bei der Europameisterschaft und vielen glorreichen Momenten, die ihr einen Platz in der „Hall of Fame“ des deutschen Sports, einbrachte. Teil ihres historischen Beitrags zur deutschen Olympia-Geschichte sind neben den Erfolgen ihrer Laufbahn aber auch die schweren Zeiten ihrer Karriere, aus denen sie sich mit Willen und Leidenschaft herauskämpfe und ihre Persönlichkeit. Ihr ehrenamtliches Engagement für krebskranke Kinder seit 1984 zeichnet den Charakter der außergewöhnlichen Frau nicht minder, als ihr sportlicher Erfolg.
Aline Rotter-Focken – Tokio 2020
Geschichte schreiben beim allerletzten Auftritt der Karriere. Das ist wohl der Traum zahlreicher Sportlerinnen und Sportler auf der ganzen Welt. Einen Abschied von der Karriere auf der allergrößten Bühne zu feiern. Genau das gelang Aline Rotter-Focken bei Tokio 2020.
Mit sieben Medaillen bei Welt - und Europameisterschaften erwies die Ringerin ihrem Sport in Deutschland schon vor Tokio einen riesigen Dienst. Hierzulande gehört Ringen nicht zu den populärsten Sportarten, zahlreiche Champions dieser Sportart kommen insbesondere aus dem südosteuropäischen - oder dem asiatischen Raum. Doch am Niederrhein in Krefeld geborene Athletin gehörte zwischen 2010 und 2020 immer wieder zur Weltspitze. So ging die ehemalige Junioren-Europameisterin mit einem Plan zu den Olympischen Spielen, die bekanntlich um ein Jahr nach hinten verschoben wurden.
Mit den Spielen im Jahr 2021 wollte sich die damals 30-Jährige von Profidasein verabschieden. Es folgte eine wunderbare Geschichte, ein historisches Ereignis für die deutsche Olympia-Geschichte. Im Freistil der Frauen in der Gewichtsklasse bis 76 kg galt die Deutsche bei vielen Experten höchstens als chancenreiche Außenseiterin. Doch schon die ersten Duelle sollten die Fachpresse überraschen. Nach den siegreichen Kämpfen gegen Wassilissa Marsaljuk und Qian Zhou brachte sich Rotter-Focken in Reichweite einer Olympischen Medaille.
Spätestens im Halbfinale aber schien die Reise nach Meinung vieler doch zu Ende zu gehen. Doch weit gefehlt: Auch Asienmeisterin Hiroe Minagawa bezwang sie und zog so ins Finale ein. Wenige Stunden nach ihrem Semifinal-Erfolg gab sie ein Interview. Diese Medaille sei „längst überfällig angesichts der tollen Arbeit, die unser Team seit Jahren leistet.“ Selbst im Moment ihres wohl größten sportlichen Erfolgs rückte sie die Mannschaft in den Vordergrund.
Dabei war in diesem Moment schon klar: Aline Rotter-Focken hat ihrem Finaleinzug Geschichte geschrieben, eine Olympische Medaille im Ringen der Frauen gab es für Deutschland noch nie. Doch dieser historische Moment sollte noch ein weiteres Kapitel schreiben. Gegen die mehrfache Weltmeisterin und große Favoritin auf den Olympia-Titel 2020, Adeline Gray (USA) triumphierte sie mit 7:3 und machte diese Moment zu einem der fünf historischen Ereignisse der deutschen Olympiageschichte.